2.4. Zielgrößen einer »reinen Ökonomie« und »Sozialen Marktwirtschaft«

In den Worten OPPENHEIMERs möchte ich diesem Kapitel voranstellen, welchen Anforderungen eine »reine Ökonomie«[372], die nach dem Kriege konkret als »Soziale Marktwirtschaft« bezeichnet wurde, zu genügen hätte.

„Die erste Aufgabe der Marktwirtschaft besteht darin, das Kollektivbedürfnis der Wirtschaftsgesellschaft dadurch möglichst vollkommen zu befriedigen, daß sie den »Kollektivbedarf« mit möglichst geringen Kosten beschafft und so verwaltet, daß er zum möglichst großen Erfolge der Bedürfnisbefriedigung verwendet werden kann. (...): die Lehre von der Produktion zeigt uns, woher und nach welchen Gesetzen der Markt sich füllt, die Lehre von der Distribution, wohin und nach welchen Gesetzen er sich wieder entleert. Wird eine dieser Aufgaben nicht vollkommen erfüllt, so leidet die Gesellschaft.“[373]

Die marktwirtschaftliche Funktion der »reinen Ökonomie« besteht darin,

  • den Bedürfnissen der Nachfrage zu folgen, statt der Gesellschaft Unerwünschtes oder Mangelhaftes aufzuzwingen: Nachfrageorientierung,
  • die Mengenerwartungen auf dem optimal möglichen Niveau zu erfüllen, welches nur durch die in einer Gesellschaft bereitstehende Arbeitskraft und die produktiv eingesetzten Sachwerte begrenzt wird: Mengenregulierung,
  • dabei keine Energie zu verschwenden, insbesondere nicht kostbare menschliche Lebenszeit: Effizienzgebot
  • und zu funktionieren (!): Funktionsgebot.

Hätten die Marktwirtschaften der Nationen diesen Kriterien stets genügen können, dann wäre die Kritik an dem Regelungsprinzip »Markt« kaum so laut geworden, wie dies geschehen ist und zuweilen selbst gegenwärtig noch geschieht. Die Idee des Kommunismus, als Ausdruck einer marktlosen Gesellschaft und Negation des nichtfunktionierenden Kapitalismus, hätte keinen Nährboden gehabt. Indessen gibt uns die Wirtschaftsgeschichte einige zusätzliche Fragen zu lösen und müssen wir einer naturalistischen Marktvorstellung entgegensetzen, daß die Erfüllung marktwirtschaftlicher Funktionen auf gesellschaftlichen Voraussetzungen beruht. Nur wenn diese gegeben sind, erreicht Marktwirtschaft die soziale Qualität eines »liberalen Sozialismus«, den Ausgleich aller Einkommen auf dem Niveau unterschiedlich eingebrachter Leistungen, und funktioniert nach den Bewegungsgesetzen einer »reinen Ökonomie«.

In den vorstehenden Texten wurde vielfach von Macht, Monopolen und Klassengesellschaft gesprochen. Sie sind Ausdruck einer beschränkten Entscheidungsfreiheit [S. 184] und wirtschaftlichen Autonomie bei der Masse der Bevölkerung. OPPENHEIMER schreibt: „Die reine Ökonomie ist eine fortschreitende Gesellschaftswirtschaft mit allseitig sinkendem Druck. Die kapitalistische Ökonomie ist eine fortschreitende Gesellschaftswirtschaft mit einseitig sinkendem Druck.“[374] Damit meint er, daß die »reine Ökonomie« ihre Segnungen in der Breite zeitigt und den Existenzdruck aller Wirtschaftspersonen mit ihrer fortschreitenden Entwicklung gleichermaßen senkt, während die kapitalistische Ökonomie einer Minderheit besondere Entlastung beschert, aber dabei insgesamt in ihrer Entwicklung nicht so fortschreitet wie sie es könnte und stets für die Masse mit unbilligen (weil zum Betrieb einer Marktwirtschaft unnötigen) Belastungen einhergeht.

Betrachten wir die oben angeführten Funktionskriterien einer »reinen Ökonomie« oder »Sozialen Marktwirtschaft« näher:

Die Nachfrageorientierung der Marktwirtschaft ist geknüpft an die Wahlfreiheit des Konsumenten. Sie wird heute weitgehend als gegeben angesehen, wenngleich der Konsument zahlreichen Manipulationsversuchen ausgesetzt ist, über keine vollständigen Informationen verfügt und laufende Konzentrationsprozesse im Handel manchen Anlaß zu Befürchtungen geben. Angebotsseitig wird die Konsumentensouveränität unterhöhlt durch Monopole und Kartelle. Bundespost und Bundesbahn sind/waren öffentlich-rechtliche Monopole. Die Energieversorgung und Militärgüterproduktion erfolgt meist durch private Monopolisten.

Aber der Begriff der Nachfrageorientierung führt weiter, bis hin zu der Frage, ob Produkte nachfrageorientiert entwickelt und angeboten werden oder nicht. Man sollte meinen, daß dies aus Eigeninteresse des Unternehmens immer geschieht. Bei der Frage des FCKW-freien Kühlschrankes waren sich die drei westdeutschen Kühlschrankproduzenten dagegen einig, ihre vorhandenen Produktionsanlagen weiter zu nutzen, ohne ihr Angebot umzustellen. Erst der Ost-Konkurrent brachte, nachdem er sich nicht ausschalten ließ, Bewegung in die Westunternehmen. Das Beispiel läßt sich auf viele andere Produktarten übertragen: Windkraftwerke, die erst niemand entwickeln wollte und nun, da die dänische Industrie mit ihren Entwicklungen den Markt abdeckt, soll mit öffentlichen Geldern der Entwicklungsrückstand eingeholt werden. Hochgeschwindigkeitszüge, um die sich im Autoland BRD niemand kümmern wollte und die dann, nachdem Frankreich und Japan ihre Züge entwickelt hatten, in einem Kraftakt (und natürlich wiederum aus öffentlichen Mitteln) nachentwickelt wurden. Doch eine durch Monopolisierung verminderte Sensibilität der Unternehmen verhindert allenfalls die Strukturanpassung einer Industrie und führt mangels Sensibilität im Vorfeld zu einer aufgeschaukelten Branchenstrukturkrise. Davon betroffen sind meistens nur Konzerne und politisch gut organisierte Verbände, denen es gelingt, über lange Zeit hinweg an dem Kunden vorbeizuproduzieren.

Von grundlegender Bedeutung für die eingangs aufgestellten Zielgrößen ist die Frage der anpassungsfähigen Mengenregulierung. Welche Gütermengen eine Gesellschaft [S. 185] bedarf, wird nach einem alles zerstörenden Krieg anders beantwortet werden als nach einer längeren Friedensperiode. Das Maß notwendiger Arbeit ergibt sich im Prinzip automatisch durch den Entschluß einer Person, zum Zwecke des Gütererwerbes Lebenszeit der Arbeit (Gütererstellung) zu widmen. Daß manche Menschen der Erwerbstätigkeit auch noch nachgehen, wenn alle Bedürfnisse durch vorangegangene Erwerbstätigkeit gesättigt sind, liegt mehr an der Konstruktion unserer Gesellschaftsordnung und der daraus folgenden Verhaltensnormalität. Daß die Menschen ihren natürlichen Sättigungspunkt nicht zum Anlaß einer Umorientierung, weg von der Erwerbstätigkeit hin zur Lebensgestaltung, nehmen können, hängt wiederum an dem kapitalverwertungsorientierten Aufbau der Wirtschaft. In ihr sind Mensch und Kapital derart voneinander getrennt, daß die Flexibilität der Wirtschaft gegenüber dem arbeitenden Menschen ebenso gering ist wie das Verfügungsrecht und die Verantwortlichkeit des Einzelnen gegenüber dem Gesamtprozeß selbst. Menschen tragen ihr Geld zu Banken gegen Zins. Banken geben Kredite an Unternehmen gegen noch höheren Zins. Menschen müssen in Unternehmen eine Produktivität entfalten, die wiederum alles eingesetzte Kapital noch höher verzinst. Alles dreht sich, alles bewegt sich um ein Mehr des Geldes. Die Flexibilität der Wirtschaft reduziert sich auf eine Schicksalsfrage des Menschen: mitmachen (können) oder nicht. Das Rentabilitätsgebot des Geldeinsatzes stört somit die quantitativ unbestimmte Funktion einer angepaßten Mengenregulierung, aber nicht, weil das Geld so ist, sondern weil der Mensch des wirtschaftenden Einsatzes seines monetären Wertdepots entfremdet ist. Arbeit und Kapital bilden auf der Ebene des Individuums keine Einheit, Arbeitsvermögen und Betriebsmittel werden nicht mehr so kombiniert, daß der einzelne Mensch individuell-lebensgestaltende Optimierungsentscheide fällen könnte. Man will von Managern und Kapitalisten behütet werden, und die Gewerkschaften tragen zur Abwälzung der Selbstverantwortlichkeit mit ihrer Fixierung auf abhängige Beschäftigung nach Kräften bei. Verantwortlich sein will niemand, der nicht auch Einfluß nehmen kann. Doch Einfluß auf sein Schicksal kann auch niemand nehmen, der nicht verantwortlich sein will. Darin dreht man sich im Kreise. Die Genossenschaft weist hier vom Modell her einen Ausweg.

Die Einhaltung des Effizienzgebotes ist unmittelbar gebunden an den Zusammenhang von Kosten und Nutzen. Nutzen ist primär eine menschliche Genuß-Kategorie, keine monetäre. Kosten sind primär Aufwendungen in Zeit und Energie des Menschen, nicht deren Entsagungsäquivalent in Geld. Was für den Menschen genuß-optimal wäre, ist für das Kapital nicht automatisch profit-maximal. Und da das Kapital die Ereignisse dominiert, gilt hier die Umkehrung des Satzes. Nur eben, daß dieses Kapital in letzer Instanz wiederum Menschen gehört, also der Mensch seiner Art alles bereitet, worüber eine Klage geführt werden könnte. Die Problemlage ist gekennzeichnet durch (A) eine Entfremdung des produzierenden Menschen vom Geldverwendungs-und Produktionsplanungsprozeß, und (B) stellt sich die Frage der Kapitalstreuung. Ist sie ungleichmäßig, beherrschen die einen die anderen. Ist sie gleichmäßig, beherrscht jeder sich selbst. In letzterem Falle [S. 186] wäre jeder selbst der Dumme, und Einsicht läge nahe. Im ersteren Fall könnte ein unausweichlicher Zwang der einen durch die anderen vermutet werden (↑ 193).

Das Funktionsgebot ist ebenfalls abhängig von der Vermögensverteilung, wie die unter Punkt 2.4.4. (↑ 219) dargestellte Krisentheorie zeigen wird. Ihres Umfanges wegen, verzichte ich hier auf eine vorwegnehmende Darstellung.

Die sozialökonomischen Voraussetzungen der reinen Ökonomie lassen sich auf ein objektives und ein subjektives Realisierungsproblem reduzieren. Das objektive Realisierungsproblem besteht in den Möglichkeiten: Ausbildung, Vermögen, verfügbarer Boden bzw. Gebäude für Gewerbetätigkeit, das Recht, ein Gewerbe auszuüben etc. Das subjektive Realisierungsproblem besteht in den kulturelle Normalität beschreibenden Gewohnheiten: dem Willen und der Fähigkeit zur (Selbst-)Organisation, fehlendes Selbstbewußtsein, erworbene oder nicht abgeschüttelte »Angst vor der Freiheit« (ERICH FROMM), Abhängigkeitsverhältnisse von Kindesbeinen an, durch Autoritäten eingeflößte Selbsttäuschung bezüglich der Risiken und Möglichkeiten einer »selbständigen Lebensführung«, fehlende Vertrautheit mit nichtabhängigen Verhältnissen etc.

Die Problematik der Pädagogik, Ausbildung und Erziehung möchte ich hier aussparen, obwohl natürlich jede Gesellschaft ihren freiheitlich-genossenschaftlichen oder autoritär-herrschaftlichen Charakter in dem Umgang mit ihrer Jugend anlegt[375]. Ob unsere Gesellschaft bei den Individuen Wagemut oder Unterwürfigkeit hervorbringt, Selbständigkeit oder Abhängigkeit einübt, kooperatives Problemlösungsverhalten oder Isolation und Ohnmacht, das kann jeder selber beurteilen und die logischen Konsequenzen bezüglich unserer Gegenwartsprobleme ziehen.

Das zentrale und primär ökonomische Problem, nämlich das der Einkommensund Vermögensverteilung, sei dagegen um so ernster genommen. Denn um diesen Kern herum dreht sich, was Marktwirtschaft an sozialem Resultat leistet (oder nicht). Das Ideal auf dieser Ebene lautet »gleichzeitige Wirtschaftlichkeit und Gerechtigkeit: nämlich allen Kräften gleicher Qualifikation das gleiche Einkommen zu gewähren, ungleiche Kräfte aber nach nichts anderem als der verschiedenen Qualifikation zu entlohnen«[376]. Ist die Einkommens-und Vermögensverteilung so gelagert, daß auf der Grundlage historisch-politischer Systemkomponenten wenige viel und viele wenig verdienen, dann wirkt dies auf alle oben genannten Funktionen der Marktwirtschaft ungünstig zurück (↑ 208 f).

[S. 187] Als Thesen möchte ich den folgenden Unterabschnitten voranstellen:

  • Die sozial und ökonomisch funktionierende Marktwirtschaft ist eine labile Konstruktion. Sie trägt in sich die Tendenz zu zerfallen, wenn nicht eine errichtete Wirtschaftsordnung dafür Sorge trägt, daß sich Zustände wie vor ihrer erstmaligen Einführung nicht erneut einstellen.
  • Die bis heute ungeklärte Frage eines normativen Referenzmodelles der Sozialen Marktwirtschaft gefährdet den dauerhaften Bestand der deutschen Gesellschaftsordnung. Schleichend werden fortlaufend Gesetze in Richtung alter kapitalistischer Unordnung revidiert, weil das Interesse der politisch aktiven Klasse darin eine für sich günstige Anordnung erkennt. Erruptiv brechen in Phasen historischer Diskontinuitäten, wie etwa der deutsch-deutschen Vereinigung, Weltwirtschaftskrisen und möglicherweise auch der EG-Strukturveränderung, ganze Bereiche der ehemaligen Wohlstandskonzeption weg, weil die politischen Akteure über kein theoretisch reflektiertes Krisenmanagement verfügen, somit nicht stabilisierend wirken können, sondern aktionistisch Artefakte produzieren, die ihrerseits wiederum Ursache weiterer Krisen und Krisenverschärfungen sind.

2.4.1. Begriffliche Abgrenzung von »Sozialstaat« und »Neoliberalismus«

In dem bereits oben (↑ 68) wiedergegebenen Ausspruch von HAYEK: »Was eigentlich sozial heißt, weiß niemand. Klar ist nur, daß eine Soziale Marktwirtschaft keine Marktwirtschaft ist«[377], läßt sich deutlich das Abgrenzungsproblem erkennen, einerseits »Soziale Marktwirtschaft« und »Sozialstaat« voneinander zu unterscheiden und andererseits den von ERHARD bewußt gesetzten Begriff der »Sozialen Marktwirtschaft« gegen alle Versuche einer Verkürzung auf den neoliberalen Begriff der (kapitalistischen) »Marktwirtschaft« zu sichern. Es kann in diesem Zusammenhang nicht oft genug betont werden, daß ERHARD sich selber nicht dem Neoliberalismus zugerechnet hat, sondern lediglich in reichlicher Zahl von Neoliberalen umgeben war. Ferner steht zu befürchten, daß seitens des Umfeldes eine nicht unerhebliche Vereinnahmung der ERHARDschen Erfolge stattgefunden hat, wonach diese angeblich den sogenannten »Kräften des Marktes« nach neoliberal »reiner« Lehre zuzuschreiben wären und alles, was ERHARD abweichend davon verwirklichte, sozusagen die »verbliebenen Schwächen« ausmachen würde. HORST FRIEDRICH WÜNSCHE, der letzte von ERHARD persönlich berufene Referent der Ludwig-Erhard-Stiftung, schreibt dazu treffend:

„Das Ungewöhnliche seinerzeit war, daß am Ausgangspunkt der politischen Karriere ERHARDs sein überzeugungskräftiges wirtschaftspolitisches Konzept stand, das andere Gestaltungsabsichten verdrängte und im Laufe der Zeit Parteiprogramm wurde. [S. 188] ERHARD wurde nicht von einer Partei mit feststehender Programmatik gekürt; ERHARD hat sich vielmehr die politische Unterstützung zur Durchführung seiner Vorstellungen beschafft.“[378]

„Wenn ERHARDs Konzeption weder mit allgemein-wirtschaftlichen noch mit speziell marktwirtschaftlichen Kategorien vollständig beschrieben werden kann, weil ERHARD über den engeren wirtschaftlichen Bereich hinausgehende eigene Gestaltungsideen vertreten hat, kann nicht akzeptiert werden, was man heute von marktwirtschaftlicher Seite oft bedauernd hört: »Die 'Soziale Marktwirtschaft' hatte von Anfang an eine große Schwäche: ihr Adjektiv«, ERHARD sei von einem marktwirtschaftlichen Konzept »abgewichen«, er habe sich einer »Politik der Mittelwege« gefährlich genähert, habe mit der sozialen Beifügung das Einfallstor für den Interventionismus in die marktwirtschaftliche Bastion zumindest einen Spalt weit geöffnet. Vor dem Urteil, ERHARD habe die marktwirtschaftliche Konzeption in der Praxis nicht in vollständiger Strenge realisiert oder realisieren können, muß zuerst die Frage stehen, ob ERHARD wirklich nur daran gelegen war, eine bestimmte marktwirtschaftliche Modellvorstellung zu verwirklichen. Es darf nicht vergessen werden: »Es ist immer wieder derselbe geschichtsphilosophische Grundfehler, in den unsere Moral-, Rechts-, Kunst-und Wirtschaftsgeschichte so ungemein leicht verfällt: die geschichtlichen Tatsachen bereits auf unsere kapitalistische Geistesstruktur, ihre Maßstäbe und Ideale zu beziehen, und ein 'Nichtkönnen' da zu sehen, wo ein anderes Wollen, eine andere Gesinnung, ein anderes Ethos vorlag«[379]. Die Fragen, die gestellt werden müssen, lauten: Was wollte ERHARD mit der Sozialen Marktwirtschaft? Worin bestand die eigentliche ERHARDsche Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft?“[380]

Damit weist WÜNSCHE die Position von HAYEK und anderen recht deutlich zurück, wenngleich sein berechtigt eingelegter Widerspruch den um ERHARD gelegten Schleier nicht völlig hebt. Es ist nicht genug damit, festzustellen, daß ERHARD die vorliegende Marktwirtschaft als politische Ökonomie verstanden und ihre Umwandlung zu einer »reinen Ökonomie« oder »Sozialen Marktwirtschaft« betrieben hat, nicht genug, zu wissen, daß ERHARD in umfangreichem Maße soziologisch und wirtschaftstheoretisch ausgebildet war. In diesem Text zumindest fehlt noch der Name OPPENHEIMER[381]. Erst wenn die von OPPENHEIMER bezogene Position bekannt ist, weiß man überhaupt, auf welchem theoretischen Fundament ERHARD stehen könnte. Denn bis dahin gibt es neben Sozialstaat, kapitalistischer Marktwirtschaft und Kommunismus gar keine Erkenntnisfigur, nach der der Wirtschaftshistoriker wissentlich suchen könnte. OPPENHEIMER war ein »Exot« oder Begründer [S. 189] einer eigenen Denkrichtung, die -wie alle geistigen Dinge -erst nach Kenntnisnahme sichtbar wird. Er beschrieb seine Stellung in der Wissenschaft wie folgt:

„Die historische Schule, die vollkommen abgewirtschaftet hatte, stürzte nach GUSTAV SCHMOLLERs Tod plötzlich in sich zusammen, und ihre Stelle nahm die Wiener subjektivistische »Grenznutzenschule« ein, die seitdem mit fast gleicher monopolistischer Ausschließlichkeit die Lehrstühle der Theorie besetzt hat. Ich versuchte, die führenden Theoretiker dieser Schule zur Diskussion zu bringen: 1916 erschien meine Studie »Wert und Kapitalprofit, Neubegründung der objektiven Wertlehre«. Ich hatte die Genugtuung, daß sich kein geringerer als SCHUMPETER auf die Mensur stellte: er griff meine Lehre vom Bodenmonopol an. Die Debatte ist in dem »Archiv für Sozialwissenschaft« geführt worden; SCHUMPETER hatte mich angegriffen, ich replizierte, er duplizierte, ich kam noch einmal zum Wort, und dann hat SCHUMPETER geschwiegen. Ganz neuerdings ist ALFRED AMONN, gleichfalls einer der bedeutenderen Köpfe der Schule, mit mir in eine Diskussion eingetreten, die er in der österreichischen Zeitschrift für Volkswirtschaft und Sozialpolitik eröffnete. Meine Replik und seine Duplik sind im 5. Bande (neue Folge, Heft 1 -3) erschienen. Die im Geiste der höchsten gegenseitigen Achtung geführte Diskussion hat bereits zu einer erfreulichen Klärung geführt; sie wird hoffentlich fortgesetzt werden. Vorläufig ist ihr Ertrag in der dritten Auflage von »Wert und Kapitalprofit« (1926) aufgenommen worden.

Inzwischen habe ich in der fünften Auflage meiner Theorie den Subjektivisten in allerschärfster Weise den Krieg angesagt. Ein großer Verehrer GOSSENS, erkenne ich die Lehre vom Grenznutzen als vollkommen richtig und unentbehrlich für die psychologische Grundlegung der Ökonomik an, bestreite aber mit aller Entschiedenheit, daß sie im inneren Betrieb der Ökonomik irgend etwas zu tun habe; ich behaupte, daß der Begriff, wie ihn namentlich BÖHM-BAWERK ausgearbeitet hat, ein Unbegriff ist, und daß die Ableitung des Preises aus dem subjektiven Wert nur durch eine Kette der allergröbsten, von mir im einzelnen aufgewiesenen Trugschlüsse möglich gewesen ist. Demgegenüber habe ich selbst eine überaus einfache und, wie ich glaube, keinem ernsthaften Einwand mehr ausgesetzte Theorie des objektiven Wertes, oder besser des statischen Preises, entwickelt und zwar, indem ich zum ersten Male von der nie bestrittenen Tendenz der Konkurrenz ausging, die Einkommen sämtlicher Produzenten soweit auszugleichen, wie das gegen die beiden einzigen bestehenden Hemmnisse: die Qualifikation und das Monopol, erreichbar ist.“[382]

Der Neoliberalismus, der m. E. fälschlich von sich behauptet, die theoretische Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft geliefert zu haben, fußt auf dem Grund eines von BÖHM-BAWERK, AMONN und SCHUMPETER ausgehenden »erweiterten Psychologismus«, dem OPPENHEIMER die makroökonomische Qualität vom gewählten Ansatz her abspricht. OPPENHEIMERs Ökonomie-Vorstellung ist dagegen eine der Stromgrößen und Kreisläufe. Die »mikroökonomische Fundierung« des Psychologismus ist für ihn notwendige Testgröße, die ihn die Stabilität der makroökonomischen Konstruktion erkennen läßt. Die Gesellschaftswirtschaft neigt immer dann zur Instabilität, wenn die von dem System gesetzten Erfolgschancen und Aufwände (Verhaltensparameter) bei den Wirtschafssubjekten Handlungen hervorrufen, die den »Durchfluß« stören und per Akkumulation gegen einen »Endpunkt« [S. 190] laufen, der nur »Krise« bedeuten kann. Wieviel ein Subjekt für angebotene Güter oder Dienste konkret bezahlt, das muß den anbietenden Betriebswirt interessieren. Den Volkswirt interessiert hingegen, ob die tauschenden Parteien ihre Aufwände auf einem gemittelten Konkurrenzpreisniveau ersetzt bekommen, und ob das Prinzip der anreizgebundenen Strukturanpassung funktioniert, wenn es einmal aus irgendwelchen Gründen gefordert wird. Um diese Fragen beantworten zu können, muß der unter freier Konkurrenz zustandekommende Preis von dem durch (Klassen-)Monopol bewirkten Preis unterschieden werden, müssen also die Machtverhältnisse in der Wirtschaft analysiert werden, muß die Soziologie der Gesellschaftswirtschaft bewältigt sein, bevor man die Tatsache stets vorhandener Preise interpretiert. Den Preismechanismus als Regelungsmechanismus a priori funktionierend zu definieren, ist kapitalistische Weg-seh-Ideologie, ist systematisches Abwenden von den durch die Kapitalistenklasse verursachten Marktstörungen, ist »systematischer Fehler« einer Theorie, die über »Schlaraffia« spricht und in »Raffia« lebt, ist institutionalisierte Bewußtseinsspaltung von Soll und Sein. Machtverhältnisse in der Gesellschaftswirtschaft können aber nur als Verhältnisse von Gruppen mit gegeneinanderstehenden Merkmalen verstanden werden, Vermieter zu Mieter, Käufer zu Verkäufer etc. Das individualistische Preis-Entstehungs-Kalkül definiert mit dem gewählten Ansatz normativ den soziologischen Erkenntnisstandpunkt aus der Ökonomie heraus! Es ist bezeichnend, daß sich die von SCHUMPETER und OPPENHEIMER geführte Kontroverse[383] genau um diesen Punkt dreht und SCHUMPETER mit seiner Position eine Norm durchsetzt, die Augen zu verschließen vor diesem und jenem Machtverhältnis, das es wohl geben mag, aber das den Ökonom nicht zu interessieren habe.[384]

Bereits oben (↑ 130) wurde eine knapp gefaßte Abgrenzung der hier diskutierten Begrifflichkeiten versucht. Mit etwas mehr Worten dargestellt erscheint der

  • »Sozialstaat« als Versuch, mit Hilfe des Zwangs-und Herrschaftsinstrumentariums des Staates soziale Ungleichheit auszugleichen. Das Problem der Sozialstaats-Konzeption besteht dabei darin, (1) »gerechte Maßstäbe« zu finden, die höhere Gültigkeit besitzen als lediglich dem Interesse politisch organisierter Gruppen nachzugeben, (2) kann die Steuerpolitik unter Umständen unproduktives Verhalten anreizen, und (3) verbraucht die Verwaltungs-und [S. 191] Umverteilungsmaschinerie des Staates mit jeder übernommenen Aufgabe einen Anteil an der gesamtgesellschaftlich möglichen Produktivität. Hinzu kommt, daß die Sozialstaats-Konzeption die ökonomische Grundlage der Klassengesellschaft nicht angreift, sondern stabilisiert. Es kommt zu keiner Verbesserung der Erwerbs-und Existenzgrundlage der abhängigen Bevölkerung, sondern die unangetasteten Abhängigkeiten werden eine Zeitlang durch »Schmerzensgeldzahlungen« (Umverteilung) gemildert. Je weiter der Akkumulationsprozeß an Macht und Mitteln zugunsten der herrschenden Klasse fortschreitet und somit die Verhältnisse der sozialen Klassen auseinanderdriften, desto »kostenintensiver« und »lästiger« wird den Besteuerten der Umverteilungsmechanismus. Da ihnen die öffentliche Meinung, Medien, Politik etc. unterliegen, steht am Ende die Problematisierung des Sozialstaates selbst sowie dessen Abschaffung aus »ökonomischen Gründen«. Hintergrund der Bewegung ist die Parallelität kapitalistischer Ökonomie und falsch ansetzenden ethischen Bewußtseins nach einer totalen Krise, die »Mildtätigkeit« gewährt statt Taten zu organisieren. Letztendlich droht die Mildtätigkeit jedoch von den Strukturen überrannt zu werden, weil immer breitere Schichten von der Krise erfaßt werden und, erst einmal selber in Existenznot geraten, kein Verständnis mehr für die Not anderer aufbringen.
  • »Soziale Marktwirtschaft« ist dagegen der Versuch, die Ungleichheit der Einkommen auf das natürliche Maß verschiedener Qualifikation (↑ 199) zu reduzieren, indem die Freiheit des Wettbewerbes gesichert wird. Das Konzept enthält nicht den Gedanken, die wirklich sozial Schwachen und Bedürftigen ihrem Schicksal zu überlassen, sich nicht mehr um die Ausbildung der nachwachsenden Generationen zu kümmern etc., aber es möchte aus einem breit fundierten Wohlstand heraus helfen und fragt in erster Linie danach, welche Systemkomponenten der Wohlstandserzeugung[385] dienen oder entgegenstehen. Es greift dabei konzeptionell die Spitzenverdiener verschiedener Berufsstände und die exklusiven Kapitaleigner an, indem es zuläßt, daß jeder in die Berufe und Gewerbe drängt, die die höchsten Einkommen in Aussicht stellen.

Indem das Konzept der »Sozialen Marktwirtschaft« die Chancengleichheit bei den Startpositionen anstrebt, die einzelne wirtschaftliche Entscheidung dann aber der Verantwortung des Einzelnen anheimstellt, kann sie den Menschen nicht alle Sorgen abnehmen, pocht aber doch auf die Existenz von Chancen. Mit dieser Mischung aus Schutz und Forderung soll einerseits der Fortbestand und die [S. 192] Leistungsfähigkeit der Gesellschaft gesichert werden. Andererseits wird aber auch niemandem die Bürde der Eigenverantwortlichkeit abgenommen. Wer schlechte Entscheidungen fällt und unter den Konsequenzen leidet, muß nach besseren Wegen suchen und darf nicht bereits im Vorfeld einer Anstrengung wieder entlastet werden.

Die drei oben angeführten kritischen Punkte der Sozialstaats-Konzeption sind in dem Begriff der Sozialen Marktwirtschaft idealtypisch gesehen nicht enthalten. Sie ist Marktwirtschaft mit sozialem Resultat aufgrund einer frei-marktwirtschaftlichen Überwindung der Klassengesellschaft bzw. deren politischer Ökonomie. Darin steckt das überaus schwer »objektiv« zu handhabende Problem, daß die Freiheit der größten Zahl entgegen den Interessen einer exklusiven Minderheit und deren gehobenen Freiheiten errungen und verteidigt werden müßte. Um die politische Ökonomie der Klassengesellschaft überwinden zu können, muß man sie kennen und als politischer Ökonom mit entgegengerichteten Zielsetzungen handeln. Vielleicht liegt darin die Schwäche des Ansatzes ERHARDs, der das Ziel lediglich über den politischen Apparat zu erreichen versuchte und nicht, wie OPPENHEIMER es angestrebt hat, mit der Komponente einer organisierten Gegenmacht sicherte: der dem ausschließenden Klasseninteresse entgegengerichteten Genossenschaft.

2.4.2. Die Streuung der Einkommen und Vermögen

Der in diesem Abschnitt behandelte Punkt ist mehr als schwierig; er ist politisch hochsensibel. Drei Dimensionen treffen in ihm zusammen, (1) objektive Daten einer Klassen-oder Nicht-Klassen-Gesellschaft, (2) die Frage des inneren politischen Zusammenhaltes einer Gesellschaft und (3) die Frage der inneren Stabilität der gewählten Wirtschaftskonstruktion.

Punkt (1) läßt sich in dieser Arbeit nicht klären. Die benötigten Daten mögen vielleicht Sonderforschungsbereichen und hochspezialisierten Forschern zugänglich sein. Einkommens-und Vermögensdaten werden aber in Deutschland staatlicherseits sehr verschwiegen gehandhabt. GRANADOS und GURGSDIES geben an, daß es eine aussagekräftige Vermögensstatistik in der Bundesrepublik bislang nicht gibt, sondern nur vergleichsweise grobe Schätzungen[386].

„Über die Verteilung des Privateigentums an Produktionsmitteln auf die einzelnen Haushalte (personelle Vermögensverteilung) liegen dementsprechend nur wenige und teilweise recht unsichere Angaben vor. Die wichtigsten Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Für die Verteilung des Produktivvermögens bei den inländischen Haushalten kamen KRELLE/ SCHUNCK/ SIEBKE für das Jahr 1960 zu dem Ergebnis, daß 1,7 Prozent aller Haushalte über 70 Prozent des Produktivvermögens verfügten. Für das Jahr 1966 errechnete [S. 193] SIEBKE, daß sich 74 Prozent des Produktivvermögens bei 1,7 Prozent der Haushalte konzentrierten (Frankfurter Rundschau 6.8.1971). Für das Jahr 1973 schätzten MIERHEIM/ WICKE[387] zwar einen geringeren Konzentrationswert als KRELLE und SIEBKE, sie stellten aber gleichzeitig fest, daß von allen Vermögensarten »die Vermögensart Produktivvermögen am stärksten konzentriert (ist)«“[388]

Es läßt sich nur zur Kenntnis nehmen -nicht aber ändern -wenn Robert K. von Weizsäcker schreibt:

„Das Sozialprodukt scheint seine vorläufige Endgröße erreicht zu haben, und immer häufiger wird nun die Forderung erhoben, sich zunehmend Gedanken über seine Aufteilung zu machen. So drängend sich die Fragen der personellen Einkommensverteilung aus der Sicht der Wirtschaftspolitik auch stellen mögen, so unterentwickelt ist hierzu der Beitrag der Wirtschaftstheorie.“[389]

Es gibt Doktorarbeiten und angesehene Lehrbücher[390], die in dieser Hinsicht kein aussagekräftiges Datenmaterial beinhalten, sondern nur die vom Statistischen Bundesamt eröffneten Kategorien weiterreichen. Das Statistische Bundesamt gruppiert sein Datenmaterial jedoch so, daß der Verdacht auf ein Auseinanderfallen [S. 194] sozialer Klassen weder bestätigt noch widerlegt werden kann. Der ärmliche Zeitungsverkäufer an der Ecke wird dem Unternehmerstand ebenso zugeschlagen wie FLICK und KRUPP. Der Manager in Spitzenposition mit Jahresgagen von 800.000 DM läuft als »abhängig Beschäftigter«. Jahreseinkommen über 150.000 DM werden erst gar nicht ausgewiesen. Mehrfacheinkommen aus Kapitalvermögen und Arbeit werden nicht nach Haushalten zusammengefaßt, wenngleich sie in der Einkommenssteuererklärung zusammen veranlagt wurden.

In einer Nachrichtensendung wurde am 03.05.93 bekanntgegeben, daß es in der Bundesrepublik mittlerweile 1,2 Mio. überschuldete Haushalte gibt (steigende Tendenz). Auch wissen wir von über 4 Mio. Arbeitslosen in Deutschland (08.02.94). Dennoch gibt es keine zuverlässige Quantifizierung des »Sozial-Gradienten«, wie OPPENHEIMER den wichtigsten Parameter seines Theorieansatzes nannte, mittels dem sich eine Erfolgsaussage über das Konstrukt »Soziale Marktwirtschaft« objektivieren ließe.

Die Frage des inneren politischen Zusammenhaltes einer Gesellschaft (Punkt 2) wurde unter dem Stichwort gesellschaftlicher »Consensus« (↑ 149 ff) bereits angeschnitten. Ich möchte ihn hier nicht weiter ausführen. OPPENHEIMER hat sich mit großem Engagement gegen den Zerfall der Gesellschaft in ihre extremen Positionen verwandt, zunächst gegen »Kapitalismus und Kommunismus« (1919) optiert, dann gegen »Faschismus und Kommunismus« einen »dritten Weg« aufgewiesen[391] (1933). Seine Vision lautet, daß die „brüderlich geeinte Gesellschaft der Freien und Gleichen“ durch Befreiung der Ökonomie von allen Monopolen und klassengebundenen Vormachtstellungen möglich sei (↑ 125).

Punkt 3, die innere Stabilität der gewählten Wirtschaftskonstruktion, liegt nun außerhalb der subjektiven Stellung zu Fragen des Einkommens, die dieser als »zu hoch«, jener als »gerechtfertigt« oder »zu niedrig« bewertet. Uns interessiert hier nicht ein möglicher »Sozialneid« oder ein »alle Menschen sind gleich«-Dogma, sondern es geht um das Thema »Systemfunktion« auf einer nüchtern logischanalytischen Ebene. Jeder Mensch, der ein Computerprogramm oder einen Steuerungsmechanismus für eine automatisierte Maschine entwirft, stellt sich dieser Frage ganz selbstverständlich. Jeder Techniker ist vielleicht den Ökonomen einen weiten Schritt voraus, weil er (ähnlich wie der Arzt) seine Gedanken und Kenntnisse danach ordnet, daß etwas in sich geschlossen funktioniert. Baut der Programmierer eine »endlose Schleife« in sein Programm ein, dann »hängt der Computer sich an dieser Stelle auf«. Baut der Mechaniker einen Automaten und vergißt an einer Stelle die ausreichende Schmierung, dann »frißt das Material«. Bei jeder Konstruktion besteht die Möglichkeit und Gefahr, daß ein logischer Fehler, eine übersehene Instabilität das Gesamtsystem zusammenbrechen läßt. Es sind schon komplexe Systeme wie Flugzeuge abgestützt, weil ein unterdimensionierter Haltebolzen nach bestimmter Zeit die Triebwerke hat abfallen lassen. Man kann ein [S. 195] Flugzeug nicht »ceteris paribus«[392] konstruieren, sondern versteht es entweder als Ganzes oder versteht es eben nicht. So ist es mit jedem naturwissenschaftlich begründeten System; wer es nicht in seiner Einheit erfaßt, erfaßt es auch nicht in seinen Teilen (=> deduktive Methode der Klassik!). Der Sozial-Gradient ist aber nun der Maßstab einer geeinten Wirtschaftsgesellschaft. In diesem Punkte laufen alle Fäden des Systems zusammen, was es nachfolgend von einem funktionsanalytischen Standpunkt aus in mehreren Schritten näher zu erklären gilt.

Selbst auf die Gefahr gewisser Wiederholungen hin wird bis S. 226 dieser Arbeit nur ein Thema variiert: die soziale Dimension in der Marktwirtschaft. Dabei wird nachfolgend der »Sozial-Gradient« als Parameter der Sozialen Marktwirtschaft definiert sowie dem Problem der systemischen Selbstanpassung des Marktgeschehens nachgegangen (↑ 202), bis hin zu dem Problem der Arbeitslosigkeit (↑ 209) und den Wirtschaftskrisen (↑ 219). Nach Abschluß dieser Punkte erscheinen mir die Eckwerte der Theorie einer »Sozialen Marktwirtschaft« hinreichend erläutert, und es folgt nur noch eine kurze verhaltensaxiomatische und theoriegeschichtliche Ergänzung (↑ 225). Sofern die Genossenschaft auf den Sozial-Gradienten Einfluß nimmt, wird sie im dritten Hauptteil der Arbeit (↑ 227 ff) mit OPPENHEIMER als Strukturelement der Sozialen Marktwirtschaft anerkannt, und zwar als ein innerökonomisches und außerstaatliches Element, das der Forderung nach einer Umverteilungspolitik zuvorkommen und das »politische Mittel Staat« mit seinen problematischen Zugriffsmöglichkeiten politischer Klassen unnötig machen könnte, wenn es denn als Instrument einer Bürgerbewegung organisierbar wäre.

2.4.2.1. Der Sozial-Gradient

Das Auseinanderfallen der Einkommens-und Vermögensstruktur ist das zentrale Datum der kapitalistischen Wirtschaftsgesellschaft. Nicht irgendwelche »Gleichgewichte[393]«, die sich in einer Gesellschaftswirtschaft auf jedem x-beliebigen Punkt [S. 196] einstellen können (z. B. bei 0,2 bis 70 % Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Armutsprostitution, Analphabetentum, Kinderhandel und Hungertod), sondern die Ausgeglichenheit von Leistung und Gegenleistung, von Warenströmen und Einkommensstruktur sind der Schlüssel zur Konstruktion einer dauerhaft funktionierenden Gesellschaftswirtschaft. Von diesem normativen Eckpunkt der Ausgeglichenheit ausgehend, folgen alle sozialen Merkmale einer Marktwirtschaft zwingend nach. Faßt man die Ausgeglichenheit als Punkt nicht ins Auge oder sieht diese durch die Existenz von »Gleichgewichten« definitorisch gegeben, dann beraubt man sich des einzigen Punktes in einem ansonsten verwirrend komplizierten System, an dem die Summe aller angreifenden Kräfte Null ergibt (empirischer Ruhepunkt) und dennoch das Gesamtsystem innerlich ausgeglichen oder zum Zerbersten angespannt sein kann. Man sollte sich die Weltwirtschaftskrise und die Wirtschaftskrise der Weimarer Republik ruhig einmal als ein kapitalistisches Gleichgewicht vorstellen, dessen Systemkomponenten die wirkenden Kräfte nicht mehr aufnehmen konnten, so daß das an sich ruhende System zerbarst wie ein Getriebe unter zu großer Last. »Ausgeglichenheit« ist nach dieser Vorstellung der Gegenbegriff von »innerer Spannung« oder »Anspannung«. Und diese Anspannung wächst in dem Maße an, wie Klassen einer Wirtschaftsgesellschaft auseinanderdriften.

OPPENHEIMER gab dem zu definierenden Parameter die Namen »sozialer Gradient«, »soziologischer Gradient«, »wirtschaftlicher Gradient« und manchmal einfach »Gradient«. Ich möchte ihn gerne als »Sozial-Gradient« weiterführen, weil dies sprachlich und inhaltlich gut zu dem erst später gefundenen Begriff der »Sozialen Marktwirtschaft« paßt und sich, wenn die Figur allgemein akzeptiert würde, leicht in »Sozialgradient« als Eigenname verwandeln läßt. OPPENHEIMER erklärt den Parameter am Beispiel der frühen Zünfte:

„Die Ober-und Untergrenze der Einkommen entfernte sich in einem für unsere Begriffe winzigen Maße von dem Mittelwert: der »wirtschaftliche Gradient« war äußerst klein. Ich habe diesen Ausdruck aus der Meteorologie in die Soziologie übernommen. [S. 197] Darunter versteht jene die Entfernung der Isobaren voneinander. Je geringer die Differenz zwischen Maximum und Minimum des barometrischen Drucks ist, und je weiter die Linien gleichen barometrischen Drucks voneinander gelagert sind, um so flacher ist das Lufttal, und um so sanfter die Bewegung der von der Höhe herabfließenden Luft. Bei der umgekehrten Lage haben wir einen überaus steilwandigen Trichter und Sturm bis zum Taifun. Ins Ökonomische umgedeutet, heißt das, daß die Gesellschaft um so sicherer ruht, je zahlreicher und breiter die Mittelstände sind, und um so gefährlicheren Katastrophen entgegengeht, je mehr diese verschwunden sind.“[394]

Auch in seinem Frühwerk »Der Staat« hatte OPPENHEIMER den Untergang des römischen Reiches, einer kapitalistischen Sklavenwirtschaft, bereits mit der Denkfigur des »soziologischen Gradienten« erklärt[395]. Sie ist somit keine spezielle Figur der industriell-kapitalistischen Ära, sondern eine allgemeine soziologische Figur, die in dem speziellen Fall des industriellen Kapitalismus eine gesellschaftsrechtlich abstrakte Form annimmt. Ist das »Eigentum« am Sklaven noch gekennzeichnet durch Unmittelbarkeit, so ist das System moderner Kapitalstücke und Verfügungsrechte meist entpersonalisiert, obwohl damit unverändert menschliches Handeln bewegt wird.

Qualitativ ausgedrückt, ergeben sich nach modernem Einkommensbegriff vier idealtypische Verteilungsprofile, denen sich bestimmte Wirtschaftskonstruktionen namentlich zuordnen lassen.

Im »liberalen Sozialismus« oder der »reinen Ökonomie« (die ich mit der Idee der Sozialen Marktwirtschaft auf einer theoretischen Ebene sehe) wird die Verteilung des Einkommens bestimmt durch die natürliche Verteilung der Qualifikation. Der Stärkste mag dem Schwächsten vielleicht dreifach überlegen sein, der Klügste dem Dümmsten vielleicht zehnfach, der Geschickteste dem Ungeschicktesten vielleicht fünffach. Wenn zwei Personen unterschiedlicher Qualifikation dasselbe Produkt herstellen, wird der höher qualifizierte natürlich auch ein an Qualität oder Menge höherwertiges Resultat erzielen und entsprechend höheres Einkommen.

„Die Differenz der Löhne wird auch in der »reinen« Ökonomie der Zukunft bestehen bleiben -zum Glück! Denn nicht das ist das soziale Problem, daß einer mehr hat als der andere, sondern daß einer den anderen ausbeutet. Diese Ausbeutung hieße es verewigen, wenn alle Arbeitslöhne gleichgestellt würden: dann würde der Minderqualifizierte den Höherqualifizierten ausbeuten!

In allen kommunistischen Siedlungen, die wir kennen, wo der Gesamtertrag nicht nach der Leistung, sondern nach den Bedürfnissen oder mechanisch gleich verteilt wurde, war das der Fall; überall gilt, was ein Mitglied einer verkrachten kommunistischen Kolonie in Nordamerika berichtete: »Wir hatten eine Masse Philosophen, aber fast keinen, der Kartoffeln graben wollte«.

Vor allem aber würde unter solchen Umständen die höhere Qualifikation bald aufhören, Produkte höherer Qualität hervorzubringen: fehlte doch der Sporn des berechtigten Selbstinteresses ganz, der den Menschen zur höchsten Leistung anfeuert. Die [S. 198] Anhänger des kollektivistischen »Zukunftsstaates« sind schlechte Psychologen, wenn sie glauben, daß dieser Sporn jemals durch den Bürgerehrgeiz ersetzt werden könnte: in einer Gesellschaft, wo höher qualifizierte Arbeit weder größeren Lebensgenuß noch höhere soziale Geltung bringt, wissen die Ehrgeizigen ein bequemeres Mittel zum Ziele, als die harte Arbeit an sich und den Dingen, nämlich die Rednertribüne. Eine kollektivistische Gesellschaft würde die Kleons züchten, sie würde die großen Mäuler, die »schwülen Köpfe mit den kalten Herzen« NIETZSCHEs, an die Spitze bringen, während in der reinen Ökonomie »the brains to the top« kommen müssen, wie in den genossenschaftlichen Kolonien überall.“[396]

Für die Soziale Marktwirtschaft ergibt sich somit folgende Verteilung der Einkommen[397]:

. ..........höchstesEinkommen

Einkommen

. . . . . . . . . geringstes Einkommen

Dagegen verdichtet ein ideal vollzogener Kommunismus, in dem sich die Parteiallmächtigen keine Sonderrechte verschaffen, alle Einkommen in einem engen Bereich:

höchstes Einkommen

Einkommen

geringstes Einkommen

Die vom Sozialstaatsgedanken unabgefederte kapitalistische Ökonomie zerfällt in die Klassen der Erwerbslosen, der unter Hungerkonkurrenz Erwerbstätigen und den Profiteuren.

. ..........höchstesEinkommen

Einkommen

. . . . . . . »Hungerlohn«

Durch den Umverteilungsmechanismus des Sozialstaates verschwindet die einkommenslose Gruppe und verjüngt sich die Gruppe der höheren Einkommen durch Steuerlasten. In einer kapitalistischen Ökonomie mit sozialstaatlicher Abfederung

 

müßten die zwei Klassen der Einkommensbezieher erneut erscheinen sowie eine darunter angesiedelte Klasse von Beziehern eines Umverteilungseinkommens.[S. 199]

höchstes Einkommen . . . . . . . .

Einkommen

Umverteilungseinkommen . . . . . . . unterer Eigenverdienst

Da es in kapitalistischen Ökonomien eine Gruppe von Spitzenverdienern gibt, die das 100 bis 1000-fache des Durchschnittsverdienstes in einer Wirtschaftsgesellschaft beziehen, müßten die Figuren eigentlich den Proportionen entsprechend bis in weit höhere Bereiche hineingezogen werden. Doch zum Zwecke der Verständigung dürften die Figuren hinreichen.

Es ließe sich der »Sozial-Gradient« ohne Weiteres in die Form einer Kennzahl bringen, indem man etwa eine Vollerhebung von Einkommen und Vermögen bei allen 55jährigen einer Gesellschaft durchführt und die Verteilung an diesem biographischen Punkt mit Hilfe in der Statistik üblicher Formeln quantifiziert[398]. Wenngleich die so gewonnene Zahl eine Aussagekraft hätte, würde hinter ihr der eigentlich entscheidende theoretische Zusammenhang bereits wieder verschwinden. Denn es geht hier in erster Linie um eine Fallunterscheidung.

Für den Typus »Soziale Marktwirtschaft« bzw. »reine Ökonomie« wird behauptet, daß hier ausschließlich Qualifikationsunterschiede Ursache von Einkommensunterschieden sein können. Die Qualifikationen sind aber statistisch normalverteilt. Entsprechend muß die Einkommensverteilung einer Normalverteilung gleichen. In der »reinen Ökonomie« gilt das Gesetz des natürlichen Einkommensausgleiches von ADAM SMITH, „... weil nach dem ökonomischen Prinzip die Menschen immer von weniger begünstigten Zweigen der Erzeugung sich den mehr begünstigten zuwenden, »bis alle Vorteile wieder in einer Linie sind«, wie ADAM SMITH sagt, d. h. bis die Unterschiede des Druckes durch Gleichheit der Einkommen ausgeglichen sind“.[399]

Dieses Gesetz gilt jedoch unter kommunistischen wie kapitalistischen Verhältnissen nicht, denn beide sind politische Ökonomien. In ersterer gibt es überhaupt keinen Markt, und alle Preise sind a priori politische Preise. In der kapitalistischen Ökonomie hingegen gibt es nur einen eingeschränkten Markt, der zwar genügend funktioniert, um Preise zu beeinflussen, aber nur mit enormen Aufschlägen oder [S. 200] Abzügen entsprechend den formierten Interessen der politisch herrschenden Klassen.

Aus der mittels dem Gradienten vorgenommenen Fallunterscheidung gilt es, die beiden marktwirtschaftlichen Extreme idealtypisch darzulegen. Erst wenn man die Dinge sauber trennt und unterscheidet, kann man ihre Anteile anschließend auch noch in ihrer graduellen Vermischung erkennen. »Grau« ist eben kein eigenständiger Zustand, sondern eine Abstufung zwischen weiß und schwarz. Nur letzteres sind Elementarbegriffe, und Hunderte von Grauwerten lassen sich auf eine Maßzahl zwischen diesen beiden Polen reduzieren.

Nicht anders steht es um die möglichen Zustände einer Marktwirtschaft. Soweit ich heute sehen kann, gibt es zwei Elementarzustände der Marktwirtschaft. In dem einen gilt das ökonomische Prinzip von ADAM SMITH, wonach »der Mensch sich stets von den weniger begünstigten Zweigen der Erzeugung abwendet und sich den mehr begünstigten Zweigen zuwendet«, und in dem anderen gilt es nicht.

Dort, wo dieses Gesetz gilt, findet automatisch eine Nivellierung aller Einkommen auf das Maß unterschiedlicher Qualifikation statt. Es stellt sich, ohne daß es der staatlichen Umverteilung bedarf, eine Normalverteilung der Einkommen ein. Doch zieht es die Menschen nicht nur in die für sie günstigsten Gewerbe, sondern vollzieht die Gesellschaftswirtschaft darüber auch ihre strukturelle Selbstanpassung.

Diskutieren wir die Problematik exemplarisch anhand der nationalen Kohle-Politik. Dieser Energieträger war gegen 1850 wohl wichtigster Faktor bei dem Aufbau der Schwerindustrie des Rheinlandes, und von daher bedurfte es der Männer, die sie unter Lebensgefahr aus der Erde gruben. Also mußte der Bergmann höher entlohnt werden als in allen anderen Gewerben, was dem Risiko und der Härte der Arbeit angemessen war. Doch heute haben sich die Strukturen gewandelt. Erstens liegt die Zukunft der Energietechnik in der direkten Nutzung der Sonnenkraft (Wind, Wasser und Licht). Zweitens liegt die Zukunft der deutschen Industrie in der Anwendung jener Techniken, die nur von industrialisierten Ländern angeboten werden können. Es ist ein industriepolitisches Kuriosum, als Land der Hochtechnik traditionalistisch an Stammprodukten der Jahre 1850 bis 1960 festzuhalten, wo zahlreiche Länder, die unserer Entwicklung um einige Generationen nachstehen, diese Grundstoffe ebenso anbieten können und mit uns gegen Hochtechnik liebend gerne tauschen würden. Bereits oben (↑ 85) wurde vorgerechnet, daß durch Spezialisierung und Handel ein höherer Wohlstand entstehen würde. Und auch die Arbeit geht nur in bestimmten Branchen verloren, während andere parallel dazu eine erhöhte Nachfrage in vermutlich gleichem Umfang erfahren. Dieses Kuriosum läßt sich unter Hinweis auf den Schock der »Ölkrise«, als der Preis für Rohöl mehr als zehnfach höher stand als gegenwärtig, mit dem Argument sogenannter »nationaler Notreserven« legitimieren. Aber es bleibt ein Denkmal politischer Ökonomie und verhinderter Strukturanpassung, wenn die Steinkohle heute mit etwa 10 Milliarden DM jährlich subventioniert wird und ebenfalls schwer arbeitende Altenpfleger, [S. 201] Bäcker, Friseusen etc. jährlich etwa 300 DM an eine politisch gut organisierte Berufsgruppe abtreten müssen.

Als Leitmaxime sollte dagegen gelten: Weltmarktpreise und technologische Möglichkeiten bestimmen die gewonnenen Erträge. Erträge geteilt durch Personen, die zu ihrer Erwirtschaftung notwendig sind, ergeben die mögliche Höhe des Lohns. Die Höhe des Lohns ergibt die Attraktivität eines Gewerbes. Strebt der Mensch stets dem für ihn günstigsten Gewerbe zu, dann werden aus dem Bergbau solange Personen abwandern, bis nur noch die Gruben betrieben werden, die mit ihrem lokalen Vorteil (entfallende Transportkosten gegenüber Weltmärkten), Ergiebigkeit und anwendbarer Technologie attraktiv sind. Die Kohle-Subventionen können ebensogut an anderer Stelle verausgabt (oder gar in den besteuerten Haushalten belassen) werden und damit Arbeit an anderer Stelle bewegen, mit etwas mehr politischem Geschick sogar durch die technisch bestens ausgebildeten Bergleute in anderen Produktionszweigen.

„Um zusammenzufassen, so würden in einer Gesellschaft, in der kein anderes Hemmnis der Konkurrenz bestände, als die Qualifikation, alle Einkommen aller Produzenten nur im Maße der Qualifikationsdifferenz verschieden sein. Wir wollen diesen Gleichgewichtszustand als den Zustand der rationellen Gleichheit bezeichnen. Rationell, weil er offenbar derjenige Zustand ist, den die praktische Vernunft als den besten und gerechtesten anerkennen muß. Sehr groß können die hier vorkommenden Unterschiede des Einkommens nach dem, was wir oben über die Verschiedenheiten der Begabung feststellen konnten, nicht sein, zumal, wenn man beherzigt, daß in einer Gesellschaft, wie wir sie hier voraussetzen, die Möglichkeit, zu anerzogener Qualifikation zu kommen und angeborene auszubilden und zur Geltung zu bringen, allen, und nicht mehr bloß den Kindern der Oberklasse gegeben wäre. Die relative Seltenheit und der Preis solcher Qualifikationen wäre also hier viel geringer als in der kapitalistischen Ordnung.

Dieser Zustand der rationellen Gleichheit wäre erstens gerecht: denn, wie die bürgerliche Theorie ja selbst mit so großer Emphase erklärt, es ist nur gerecht, daß jedermann so viel Wert aus dem Markte nehme, wie er an Gütern oder Leistungen hineingetan hat. Und in der Tat hat bisher wohl kaum jemand einem genialen Arzte oder Künstler sein höheres Einkommen mißgönnt.

Dieser Zustand wäre zweitens ebenso offenbar der der Gesellschaft nützlichste. Denn es folgt aus unserem Prinzip, und wird durch die Geschichte aller kommunistischen Versuche bestätigt, daß der durchschnittliche Mensch nur dann mit voller Kraft arbeitet, wenn ihm ein entsprechendes Entgelt in Aussicht steht. Eine solche Gesellschaft würde also den höchsten, in ihr nach Lage der Technik überhaupt erreichbaren Reichtum und zugleich die gerechteste Verteilung besitzen.

Da unsere Gesellschaft von diesem schönen Ideal so weit wie möglich entfernt ist, muß das an dem zweiten Hemmnis der Konkurrenz liegen. Dieses Hemmnis ist das Monopol.

Wenn wir mit den Klassikern die bewegende Kraft der Gesellschaft, in der nichts anderes als die Qualifikation die Tendenz zur vollen Gleichheit der Einkommen hindert, als die »freie Konkurrenz« bezeichnen, so sind diese und das Monopol disjunktive, einander ausschließende Begriffe. Wo freie Konkurrenz besteht, gibt es per definitionem kein Monopol, und wo ein Monopol besteht, gibt es per definitionem keine freie Konkurrenz. Diese ist, nach ADOLF WAGNERs glücklicher Formel, überall dort gegeben, wo [S. 202] jeder, der sich an einer Produktion beteiligen will, es auch kann und darf. Wenn er es nicht kann, ist ein natürliches, wenn er es nicht darf, ein rechtliches Monopol die hemmende Ursache.“[400]

Mobilitätshindernisse sind aber nicht nur die von Unternehmen und berufsständischen Vereinigungen beherrschten Märkte. Lenkt man erst einmal seine Aufmerksamkeit auf diese Dinge, fallen eine Reihe etablierter Bestandssicherungsmaßnahmen auf, mit denen sich gerade die begünstigten Berufsstände und Produktionszweige gegen unliebsame Mitbewerber »schützen« (oder besser: abschotten). Die Geheimhaltung erzielbarer Preise für Arbeitsleistungen, also die Außerkraftsetzung des marktbewegenden Informationsmechanismus, ist ein wesentlicher Teil der Strategie. Jeder auf Abschottung bedachte, begünstigte Berufsstand darf des Schutzes staatlicher Politik gewiß sein, die kräftig mitmischt bei der Nichteinrichtung notwendiger Markttransparenz. Wenn ein Schüler heute an der Schwelle zum Berufseintritt bei der staatlichen Beratungseinrichtung »Arbeitsamt« vorspricht und die einfache Frage stellt: Wo kann ich mit dieser oder jener persönlichen Qualifikation das meiste Geld verdienen, dann bleibt ihm diese Information verwehrt, weil das Amt selber keine Informationen über Verdienstaussichten nach Berufen und Gewerbezweigen bereithält. Gleiches gilt von Vermögens-und Einkommensstatistiken. Sie geben keine Auskunft über die Märkte großer oder geringer Konkurrenz.

Es läßt sich eine ganze Reihe von Maßnahmen aufspüren, die der Staat zur Verteidigung der Freiheit des Marktes ergreifen könnte, wo er aber statt dessen Sonderstellungen schützt und den Markt zugunsten der Interessen politisch starker Sondergruppen behindert. Aus Rücksichtnahme gegenüber den Starken, die ihre Interessen durchsetzen können, werden manche Informationen behütet wie Staatsgeheimnisse. Unternehmen durften einst Angaben über die Zusammensetzung der in den Rhein eingeleiteten Abwässer geheim halten, da diese angeblich Rückschlüsse auf Produktionsverfahren zuließen. Indem der Staat bzw. die ihn repräsentierende politische Klasse bestimmte Empfindlichkeiten schützt, verhindert er den Ausgleichungsprozeß und beeinflußt den Gradienten auf ökonomischer Seite, oftmals auch nur durch Unterlassung, ungünstig.

2.4.2.2. Einkommensstruktur und Systemfunktion

„An der prunkvollen Markuskirche in Venedig steht in goldenen Lettern geschrieben: »Omnis dives aut iniquus aut iniqui heres«, d. h.: Jeder Reiche ist entweder selber ungerecht oder der Erbe eines Ungerechten. Anders ausgedrückt: Jedes Vermögen oder Einkommen, das die Normalgrenze wesentlich überschreitet, kann nur durch Ungerechtigkeit, kann nur auf unmoralische Weise zustande gekommen sein.“[401]

[S. 203] Die Reichen und Mächtigen aller Länder haben die Frage, woher ihr Reichtum stammt, nie gerne öffentlich diskutiert gesehen. Daß an den meisten Groß-Eigen fremder Schweiß und manchmal auch Blut klebt, ist eine hinreichend dokumentierte Tatsache[402], mit der die bürgerliche Theorie offenbar gut leben kann. Ihr ist es traditionell unerheblich, ob ein Vermögen aus Raub oder Fleiß stammt, solange es nur den Mitgliedern der eigenen sozialen Klasse zufällt und »Kapital« bildet; jenes mythisch besetzte Etwas, auf dem angeblich aller Reichtum der Allgemeinheit beruht. Nicht, daß uns ein Wehklagen überkommen müßte, wenn man die Kleinen hängt[403] und die Großen für Gleiches oder Schlimmeres ehrt. Nein, unser Problem ist die Täuschung der Anschauung, die von den Klassengenossen der »Räuber« in die Theorie hineingetragen wird.

Die ideologische Schwächung der guten Theorie ist das Ärgernis, das dem Theoretiker die tägliche Arbeit sauer werden läßt. Wie soll man der Gesellschaft einen Krebsschaden behandeln, wenn die Dinge nicht ihren Namen behalten dürfen? Wie soll man einen »Liberalismus« als gesellschaftlich mehrheitsfähigen (weil konsensfähigen) Ansatz darlegen, wenn sich ausgerechnet die Feinde einer allgemeinen Freiheit einer liberalistisch anmutenden Phraseologie bedienen und damit ihre Freiheit der Nutzung standeseigener Sonderpositionen meinen und sonst nichts? Es gibt Gründe, warum in unserem Land, das wie kein zweites in Theorie und Praxis unter den Auswirkungen eines Klassenkampfes gelitten hat, die Moralität des kapitalistischen Erwerbes unter das individuelle Freiheitsrecht fällt und nicht unter ein allgemeines (Sitten-) Gesetz des wertäquivalenten Tausches, wie er sich auf machtfreien Märkten bei Ausschluß des politischen Mittels einstellt.

Die bürgerliche Ökonomik behauptet, rein wirtschaftliche Tugenden, d. h. Fleiß, Sparsamkeit, Nüchternheit, Pünktlichkeit, Voraussicht usw. wären der Ursprung erster Einkommensverschiedenheiten. Wie aber selbst LUHMANN als nicht-sozialistisch vorgestimmter Soziologe heute schreibt, ist ihr dies eine notwendige Ausgangsbehauptung[404], ohne die sich die Verschiedenheit des Vermögens zum Zeitpunkt des Eintritts in die gesellschaftliche Reflektion solcher Dinge nicht rechtfertigen [S. 204] ließe. Behauptet wird, Einkommensunterschiede wüchsen durch Ersparnis zu Vermögen an und aus den Vermögensunterschieden entstünden die Klassen mit ihrer Verschiedenheit politischer Rechte. „Die richtige Formel, die allen Wissenschaften von der Gesellschaft zugrunde gelegt werden muß, muß im Gegenteil lauten: Aus politischer Tätigkeit, d. h. durch den Gebrauch des politischen Mittels, der bewaffneten oder der geistlichen Gewalt, entsteht Verschiedenheit politischer Rechte, Klassenverschiedenheit; aus Klassenverschiedenheit entsteht Verschiedenheit des Vermögens; aus ihr Verschiedenheit des Einkommens.“[405]

Die Aufzählung ließe sich in einem Zirkel fortschreiben. »Die erste Million ist die schwierigste«, sagt der Volksmund. Warum? Weil dem Fleiß (Produktion) der Verbrauch (Konsum) gegenübersteht. Erst wenn das Individuum in die Position gelangt, von dem Fleiß Dritter einen (rechtmäßigen) Anteil zu beziehen, wächst das Einkommen und Vermögen mit überdurchschnittlicher Dynamik.

Ein weiteres Beispiel kapitalistischer Zugewinnsystematik finden wir auf der Ebene des Geldbesitzes. Als Definition für den Begriff »Kapital« wurde oben (↑ 100) ein Verständnis zugrundegelegt im „ursprünglichen und eigentlichen Sinne für ein Geldvermögen, von dem ein Profit oder Zins erwartet wird“.

Die Kirchenväter lehnten den Zins (= das Geheckte) als »unnatürlich« ab, weil »Geld keine Jungen werfen könne«. Die Begründung wirkt heute belustigend und wurde, nachdem die kapitalistische Ökonomie als neue Rationalität Einzug gehalten hatte, aufgegeben. Doch warum »wirft Geld Junge« bzw. vermehrt sich scheinbar aus sich selbst heraus und »arbeitet«, wie man heute nicht minder verklärt behauptet?

Geld ist keine tote Materie, ist nicht einfach Metall oder heute Papier, das diesem »Wert« verleiht, sondern der Generalnenner aller modernen und vormodernen Gelderscheinungen ist der Beschaffungsaufwand des Geldes. In der Zeit des Metallgeldes stand der Beschaffungsaufwand der Metallsuche hinter seinem Wert. In der Zeit des Papiergeldes steht eine Schuldbeziehung hinter dem Zettel, früher die von einer Bank in Noten umgezettelte Schuldbeziehung zwischen Wechselaussteller und Empfänger, heute (im günstigsten Falle) ein ähnlicher Vorgang von einer zentralen Notenbank kontrolliert. Das heißt, der Wechselaussteller oder Kreditnehmer steht unter einem Rückleistungsdruck, während den Kreditgeber nichts auf der Welt zwingt, jemals eine bestimmte materielle Rückleistung anzunehmen. Gläubiger und Schuldner sind ungleiche »Tauschpartner«, wenn es darum geht, einen gegebenen Kredit wieder abzulösen. In der kapitalistischen Ökonomie, in der eine Oberklasse mehr Ansprüche besitzt als ihr eigenes Konsumbedürfnis je fassen kann, institutionalisiert sich die Unauflöslichkeit der Schuld. Die Konsumtionslücke der Kreditgeber muß mit einem gesellschaftlichen Dauerkredit gefüllt werden, solange das System der Verträge Gültigkeit behält und durchsetzbar ist. Die Höhe des notwendigen Dauerkredites beschreibt denn aber auch im Mittel den einzig wirklichen Knappheitsfaktor für Kredit und somit die Höhe des Zinses. Mit [S. 205] anderen Worten: Geld wirft Junge, weil es zu einem bestimmten Anteil einer exklusiven Klasse gehört, die sich aus dem allgemeinen Produktions-und Konsumtionszyklus zurückziehen kann. Es wird Klassen-Monopol-Gut und fordert so, wohlgemerkt nur mit einem der Zins-Bestandteile, den bei allen Monopolgütern üblichen Monopoltribut[406].

Jede strukturell verankerte Knappheit heckt dauerhaft Zins!

Man muß nur einmal davon abkommen, Zins als einen »Leistungslohn« für irgend etwas zu betrachten, sondern mit der unterschiedlichen Dringlichkeit des Austauschbedürfnisses in Verbindung bringen, dann entlarvt sich einem jede Zinsknechtschaft als fortgeschriebene Klassen-Struktur-Beziehung. Dies wird nicht offensichtlich anhand des Sparbuches des Rentnerehepaares! Diesem Sparer würde es genügen, im Alter dem Werte gleiche Leistungen gegen Geld beziehen zu können, wie an Leistungen dem Werte nach in jungen Jahren auf die hohe Kante gelegt wurden. Hier stehen Aspekte der Alterssicherung im Vordergrund und nicht solche des Zugewinns. Und selbst mit dieser Hoffnung wird der auf Alterssicherung bedachte Sparer noch enttäuscht. Nein, Sparen findet selbst unter gegenwärtigen Bedingungen statt, wo der einfache Anleger netto Wert verliert. Vielmehr liegt das speziell kapitalistische Element bei der Frage, aufgrund welcher Mechanismen die Banken ihre Bedingungen gegenüber den Kreditnehmern durchsetzen können, warum aus »Geld« also »Kapital« wird in der Schuldbeziehung.

Es sind im Grunde genommen Rechte, auf denen die unterschiedlichen Dringlichkeiten der Austauschbedürfnisse beruhen und die als unterschiedliche Dringlichkeiten institutionell und strukturell verankert sind. Das bedeutet nicht unbedingt, daß über diese Dinge jemand nachgedacht und einen großen Ausbeutungsplan entworfen hätte. Wir sprechen hier nicht von Schuld, sondern den Metamorphosen zu Recht gewordener Ungleichbeziehungen im Gefolge des primitiven Eroberungsstaates, der mit der Erfindung des exklusiven Eigentums-Begriffes die Ausbeutungsgewohnheiten seiner Herrenklasse in rationalisierte Formen goß. Auch geht es nicht darum, den Lohn der Arbeit in einen Topf mit der arbeitslosen Beute zu werfen, sondern gerade um den Versuch einer analytischen Trennung beider Einkommensformen muß es gehen, will man Kultur und Unkultur nicht ständig wie Zwillinge oder Gleiche verwechseln.

„Nichts ist gewisser, als daß die Erscheinung, die den Kapitalismus mit seiner Klassenscheidung erzeugen soll, ihn vielmehr voraussetzt. Ein genialer oder besonders glücklicher Handwerker kann in einer Gesellschaft, in der es keine Klasse »freier Arbeiter« gibt, gewiß eines Wohlstandes genießen, der ihn merklich über seine Klassengenossen hebt: aber zu klassenbildendem großem Reichtum kann er hier unmöglich kommen. Wenn aber die KRUPP und STUMM, die HECKMANN usw. in zwei Generationen zu fürstlichem Reichtum aufsteigen konnten, so war das nur möglich, weil sie bereits in der voll entfalteten kapitalistischen Periode begannen. Sie fanden die »freien Arbeiter« schon [S. 206] vor; jeder ihrer Gehilfen steuerte ihnen Mehrwert; diesen Mehrwert konnten sie zum großen Teil akkumulieren und an diesem »Kapital« neue Arbeiter beschäftigen, von denen sie wieder Mehrwert bezogen. So wuchs ihr Kapital und ihr Einkommen durch Potenzierung bis auf die erstaunliche Höhe, die unser Problem ist. Die »Kinderfibel« serviert als »Genielohn«[407], was offenbar zum allergrößten Teile nichts anderes als Mehrwert ist. Und sie erklärt daher im Kreisschluß: sie leitet den Kapitalismus und seine Klassenscheidung aus Erscheinungen ab, die nur im voll entfalteten Kapitalismus auftreten können“[408].

Aus Vermögen wird Einkommen, und aus Einkommen wird Vermögen. Sind die Vermögen im Ursprung einer zu betrachtenden Periode durch irgendwelche Umstände zwischen zwei Klassen ungleich verteilt, dann begründet dies einen dauerhaft zinsträchtigen Verteilungsmechanismus, der der vermögenden Klasse per Kredit oder einseitiger Abhängigkeitsbeziehung weiteres Einkommen und Vermögen steuert. Sind Kredite in einem Wirtschaftssystem nicht im Mittel der individuellen Lebensverläufe in etwa ausgeglichen -z. B. dadurch, daß die Gruppe der 50jährigen aus Vorsorgemotiven Vermögen anspart, den 30jährigen Existenzgründern leiht und im Rentenalter wieder verbraucht -, sondern handelt es sich um eine systematische Abhängigkeitsbeziehung zwischen zwei dauerhaft vermögenden respektive unvermögenden gesellschaftlichen Klassen, dann ergibt sich daraus die Einstellung des gesamten ökonomischen Systems auf irgendeinem Niveau des kapitalistischen Gleichgewichtes, welches vom sozialwirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet um so problematischer wird, je länger und einträglicher der Mechanismus die zinsträchtigen Vermögensteile (Kapitalstücke) einer Wirtschaftsgesellschaft in den Händen weniger Eigentümer konzentriert.

Nicht daß Reichtum existiert, sondern der Weg, auf dem ein bestimmter Typus des Reichtums entsteht, der seinerseits als wirtschaftliche Macht eingesetzt wird, um sich zu vermehren, ist der Untersuchungsgegenstand. Denn die im Entstehungsmechanismus enthaltene »kapitalistische Spirale«, die das ökonomische Gesamtsystem mit jeder durchlaufenen Periode weiter schwächt, muß analytisch unterschieden werden von der unschädlichen »außerordentlichen Leistung« mit »außerordentlichem Genuß«, die das ökonomische Gesamtsystem stärkt. Auf letztere hat sich ADAM SMITH berufen, der zu seiner Zeit den Mechanismus der kapitalistischen Ökonomie noch nicht voll erkennen konnte, weil es in der ständisch-gebundenen Gesellschaft die heute bekannten »Veredelungsformen« wirtschaftlicher Ungleichbeziehungen zwischen gesellschaftlichen Klassen noch nicht gab. Mit SMITH tritt die Epoche gerade aus dem gebundenen, politischen Feudalsystem heraus, in dem es wohl die klassenmäßige Vermögensscheidung gab, aber nur in der Form des profitlosen, kostenden Besitzstandes. Der reiche Adel verlor seinen Glanz, weil die (eroberten) Güter täglich an Unterhalt kosteten und, nachdem er von der Quelle seines Unterhaltes, dem Staat und seiner Steuerhoheit, abgeschnitten [S. 207] wurde, ökonomisch dahinschmolz. Erst in dieser Zeit verstand sich eine neue Klasse geschäftstüchtiger Personen darauf, Vermögen vermögensmehrend wirtschaften zu lassen. Zuvor war aller Reichtum Produkt der »Politik«. Gleichwohl baute die neue Klasse ganz auf dem, was ihr die alte Klasse in die Arme trieb, und der neue »Krankheitsherd« war lange vorher angelegt.

Es gibt einen sozialwirtschaftlich wirksamen Zustand der Wirtschaftsgesellschaft, bei dem nahezu jede Person früher oder später in ihrem Leben die wirtschaftliche Selbständigkeit erringt, über eigenen Wohnraum verfügt und über wertgleiche Tauschbeziehungen von dem Produktivitätszuwachs durch Arbeitsteilung profitieren kann. Und es gibt einen sozialwirtschaftlich wirksamen Zustand der Wirtschaftsgesellschaft, bei dem die abhängige Arbeitsbeziehung vorherrscht, ja selbst ein abstrakter Besitz und Verfügungsrecht an Arbeitsstätten (per Aktie oder Genossenschaftsanteil) nicht üblich ist, Besitz an Wohnraum als profittragendes Kapitalstück nicht breit gestreut ist und die gesellschaftliche Arbeitsteilung selber durch die Verschiedenartigkeit der Schlüsselpositionen ausbeutbar wird bzw. zu wertungleichen Tauschbeziehungen führt. Diese beiden Zustände sind möglich unter ein und demselben ökonomischen Gesetz, wonach »Angebot und Nachfrage den Preis« bestimmen. Die »Politik« der verschieden möglichen Zustände besteht in der nachfeudalen, »freien« Epoche darin, daß die Marktstrukturen variieren und je nach politischen Verhältnissen und Interessenlagen absichtsvoll mal ein Zuviel und mal ein Zuwenig herbeigeführt wird. Weil aber niemals ein natürlicher Ausgleich der Verhältnisse von herrschendem Interesse ist -denn dann stünden die Preise für die ohne Macht ausgestattete Partei auf dem optimalen Punkt, und es gäbe keinen Mehrwert, dessen Aneignung ja gerade das Interesse der wirtschaftlich Stärkeren ausmacht -deswegen tendieren unaufgeklärte politische Systeme automatisch in die Richtung einer Ökonomie mit kapitalistischen Gleichgewichten. Die Unwissenheit, zu deren »Herstellung« es bekanntlich des geringsten Aufwandes bedarf und die dadurch quasi »natürlich« gegeben ist, ist die politische Grundlage des stabilsten Zustandes menschlicher Wirtschaft: der kapitalistischen Ökonomie. Dagegen gibt es die »reine Ökonomie« nur in der Form des historischen Zufallsproduktes und als kulturell hochstehende Erkenntnisleistung. Sie ist eine labile Konstruktion, die ihrem Wesen nach durch Überwindung der herrschenden Interessen auf eine rationelle Gleichheit und maximal schadlos mögliche Freiheit für alle Gesellschaftsmitglieder hinausläuft; eine Vorstellung, die in zahlreichen Ländern mit Waffengewalt und Todesstrafe (z. B. Algerien) bekämpft wird, vielfach von Leuten unter dem Schlagwort eines »Antikommunismus«, die unfähig sind, »freie Marktwirtschaft« in Abgrenzung von »Kapitalismus« und »Kommunismus« auch nur zu denken, geschweige denn, diese einzurichten. [S. 208]

Ich möchte den Zirkel nochmals schließen:

„Die erste Aufgabe der Marktwirtschaft besteht darin, das Kollektivbedürfnis der Wirtschaftsgesellschaft dadurch möglichst vollkommen zu befriedigen, daß sie den »Kollektivbedarf« mit möglichst geringen Kosten beschafft und so verwaltet, daß er zum möglichst großen Erfolge der Bedürfnisbefriedigung verwendet werden kann. (...): die Lehre von der Produktion zeigt uns, woher und nach welchen Gesetzen der Markt sich füllt, die Lehre von der Distribution, wohin und nach welchen Gesetzen er sich wieder entleert. Wird eine dieser Aufgaben nicht vollkommen erfüllt, so leidet die Gesellschaft.“[409]

Diese Aussage enthält den Schlüssel zu allem weiteren Verständnis, denn eine auf kapitalistischem Gleichgewicht eingestellte Ökonomie KANN (wirtschaftlich) und WILL (politisch) das Kollektivbedürfnis der Wirtschaftsgesellschaft im obigen Sinne nicht befriedigen. Sie kann und will weder national noch international einen Ausgleich zwischen den marktfüllenden und entleerenden Strömen herstellen. Und: keine Wirtschaft hat aus sich heraus die Kraft, diese außerwirtschaftlichen Kräfte abzuschütteln. Nur in der »reinen Ökonomie« gelten die ökonomischen Gesetze eines ADAM SMITH. In der politischen Ökonomie gelten sie nicht.

„In der reinen Ökonomie gibt es nur noch die eine Grenze der Gütervermehrung, die im Stande der Technik gegeben ist. Aber es gibt nicht mehr die »politisch-ökonomische Grenze der Produktion«, die heute die Gütererzeugung nicht überschreiten kann: eine Grenze, die weit vor jener technischen Grenze liegt. Wir haben diese Zusammenhänge ausführlich dargestellt[410]. Hier können wir nur die großen Linien andeuten: Zwischen Erzeugung und Verteilung besteht, wie zwischen allen Funktionen eines Organismus, eine Beziehung der Reziprozität. Man hat bisher immer nur die eine Seite gesehen: es kann nicht mehr verteilt werden, als vorher erzeugt worden ist. Aber noch wichtiger ist die verborgene Rückbeziehung: es kann nicht mehr erzeugt werden, als nachher verteilt werden kann.“[411]

„Nun kann aber die große Masse der kapitalistischen Völker nicht mehr Waren aufnehmen, als sie mit ihrem Lohne bezahlen kann. Das aber bedeutet, daß hiermit der maschinellen Produktion jene enge unüberschreitbare Grenze gesteckt ist. Denn der Bedarf der Oberklasse an maschinellen Produkten ist klein, schon ihrer geringen Zahl wegen. Sie wären, selbst wenn sie es wollten, gar nicht imstande, den gewaltigen Mehrwert zu konsumieren, falls er ihnen in Gestalt maschineller Produkte zuflösse. Sie müssen also den größten Teil ihres Einkommens für unproduktive Dienste oder für solche Erzeugnisse ausgeben, die von Erzeugern hoher Qualifikation aber geringer Produktivität hergestellt werden, also von Künstlern und Kunsthandwerkern aller Art, vom Porträtmaler und Elfenbeinschnitzer abwärts bis zur Spitzenklöpplerin. Somit wird das Maximum der Aufnahmefähigkeit einer kapitalistischen Gesellschaft für großindustriell erzeugte Produkte durch das Lohnsystem verhältnismäßig tief gehalten. Daraus entspringt nicht nur die Unmöglichkeit, die schon vorhandene Maschinerie voll auszunutzen, sondern vor allem [S. 209] die entscheidendere Unmöglichkeit, auch nur diejenige Maschinerie aufzustellen, die heute schon technisch möglich ist. Wir besitzen sie »potentiell«, aber nicht »aktuell«.
Diese Grenze ist in der reinen Ökonomie verschwunden. Hier entscheidet über das Ausmaß der Gütererzeugung lediglich der Stand der Technik; Potentialität und Aktualität fallen zusammen. Nun würde uns schon der heutige Stand der Technik gestatten, in viel kürzerer durchschnittlicher Arbeitszeit eine viel größere Menge von Genußgütern zu erzeugen: und diese technische Grenze ist fast ins Grenzenlose elastisch, weicht immer weiter vor uns zurück. Wir sind heute technisch-potentiell bereits soweit vorgeschritten, daß fast jede Maschinerie von noch so ungeheurer Leistungsfähigkeit geschaffen werden könnte, wenn ihre Rentabilität gesichert wäre. Und wir stehen doch offenbar erst am Anfang! Wenn für jedes verbesserte und verbilligte Produkt ohne weiteres der Markt gesichert ist, dann werden unsere Erfinder die neu sich stellenden Aufgaben mit immer neuen Mitteln zu lösen imstande sein. Was heute FORD für den, unter europäischen Gesichtspunkten, enorm kaufkräftigen amerikanischen Markt geleistet hat, wird dann die Regel sein. Man kann die Dinge auch von einer anderen Seite her verständlich machen: Eine Maschine ist, volkswirtschaftlich gesehen, ein Ding, das Arbeit spart, ist aber, vom privatwirtschaftlichen Standpunkt des Unternehmers aus gesehen, ein Ding, das Löhne spart. Folglich sind um so gewaltigere Maschinen rentabel, je höher die Löhne stehen. Dennoch wird das Produkt billiger. Nur aus diesem Grunde kann z. B. FORD, der das Vielfache der europäischen Löhne zahlt, seine Automobile und Traktoren zu Preisen nach Europa liefern, bei denen die europäischen Werke nicht konkurrieren können.“[412]

„In der politischen Ökonomie aber besteht die objektive Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung, wenn kein Monopolverhältnis einspielt, nur bei den Tauschakten, die von Mitgliedern derselben sozialen Klasse abgeschlossen werden. Zwischen den Mitgliedern verschiedener sozialer Klassen aber besteht keine Äquivalenz der Leistungen: sie sind »non competing groups«.“[413]

2.4.3. Wegfall des »freien« Arbeiters

„Kapitalismus ist nur dort möglich, wo regelmäßig auf dem Markte der Arbeit ein Überangebot stattfindet; oder, um die berühmte MARXsche Formel zu brauchen, wo eine »Reservearmee unbeschäftigter Arbeiter« vorhanden ist, die den Lohn der Beschäftigten in ungünstigen Zeiten niederzieht und in günstigen niederhält.“[414]

Mit diesem Eingangsstatement stoßen wir auf ein weiteres brisantes Thema vor. Laut Prognos AG wird in Deutschland auf Dauer mit der Erwerbslosigkeit von rund 6 Millionen potentiell Erwerbstätiger gerechnet. Gleichzeitig muß die Verrichtung gesellschaftlich wünschenswerter Arbeiten unterbleiben, weil das System diese »nicht bezahlen« kann. Bezüglich dieses Widerspruches bleiben die Politik und die herrschende Wirtschaftswissenschaft sowohl eine Erklärung als auch die Lösung schuldig. Schlimmer noch: Die Arbeitslosigkeit wird als ein unabänderlicher Bestandteil des Systems akzeptiert und der zwangsläufig daraus folgende [S. 210] Produktivitätsverlust des Gesamtsystems naiv kritisiert. Den letzteren merken die Beschäftigten und Unternehmen als Umverteilungslast, die ihnen per Steuer, Versicherungsbeitrag und Lohnnebenkosten aufgebürdet wird. Warum erkaufen sich die Beschäftigten per Umverteilung die Untätigkeit von 10 % ihrer potentiellen Kolleginnen und Kollegen, statt selber öfter Freizeit zu genießen? Einkommensseitig ginge keinem abhängig Beschäftigten etwas verloren, wenn neben der sowieso stattfindenden finanziellen Umverteilung auch die dazugehörige Arbeitszeit umverteilt würde. Den auf Grenznutzenbetrachtung so erpichten Ökonomen muß es doch geradezu entsetzen, daß hier in einem Bereich systematisch bezahlt wird, ohne daß ein wertäquivalenter Tausch stattfindet. Oder setzt man die Ausbildungskosten in der Rechnung so hoch an, daß partielle Beschäftigungslosigkeit volkswirtschaftlich »billiger« ist als gleichverteilte Vollbeschäftigung?

Unter dem Primat einer »Ausgleichsökonomie« betrachtet, variieren die Bedürfnisse der Wirtschaftspersonen je nach erreichtem Sättigungsgrad einer Gesellschaft. Nach dem Krieg galt es, möglichst schnell viele Produkte zu erstellen. Je höher das erreichte Niveau einer Sättigung ist, desto stärker wechselt die Bedarfsund Erstellungsstruktur in den Bereich höherwertiger Dienstleistungen. Eine Wirtschaftsgesellschaft kann in sich ausgeglichen funktionieren, wenn sich 90 % aller Erwerbspersonen wechselseitig Dienste leisten. Der Lehrer dem Arzt, dem Sänger, dem Maler, dem Masseur, dem Hotelpersonal, dem Sekretär etc. Alle »leisten« und »genießen« in dem Maße ihrer Leistung und ihres Genusses. Genaugenommen sind Dienste schon immer dasjenige gewesen, was sich Menschen zu allen Zeiten gegenseitig geleistet haben. Die Erstellung von Produkten und deren Tausch kann verstanden werden als ein besonderer Dienst. »Dienste« ist der Oberbegriff einer Ökonomie, »Produkte« ein Teilbegriff der Dienste mit besonderer Manifestation im Dinglich-Dauerhaften oder Dinglich-Vorübergehenden. Während die reinen Dienste an lokale Preise gebunden sind (der Zahnarzt in Bangladesch leistet keine Dienste nach Hamburg), unterliegen die Güter dem Außenhandel und damit anderen Bewertungsmechanismen. Unterstellen wir eine ausgeglichene Handels-und Zahlungsbilanz, also den wertmäßigen Gleichstand von Export und Import, dann läßt sich die weitere Betrachtung auf die Vorgänge der Binnenwirtschaft verkürzen.

In dieser gibt es zwei zentrale Parameter, die elastisch bzw. anpassungsfähig sein müssen. Es ist a) der Parameter des Gesamtbedarfes und b) der Parameter der Bedarfsstruktur.

Ersterer ist eine quantitative Größe. Sie gibt an, in welchem Umfang die Wirtschaftspersonen privatökonomisch bzw. marktökonomisch ihre Bedürfnisse sättigen (wollen). Denn natürlich ist die Arbeitsteilung der Marktgesellschaft nur dann und dort von Vorteil, wo der aus der Arbeitsteilung resultierende Produktivitätsgewinn des Marktproduktes die Eigenfertigung innerhalb einer Hauswirtschaft unwirtschaftlich erscheinen läßt. Wenn der einzelne Mensch [S. 211] merkt, daß er sich ein komplexes Produkt[415] leichter beschaffen kann als durch Eigenfertigung, wird er auf dem Markt eigene Dienste anbieten, um diese gegen das komplexe Produkt einzutauschen. Wo sein Bedarf an Marktprodukten und Produkten seiner Hauswirtschaft gesättigt ist, da ruht der Mensch oder lebt sein gesellschaftlich-geselliges Leben. Dem Menschen dient ein ökonomisches System dann optimal, wenn sich alle individuellen Bedarfsentscheidungen in ihm optimal realisieren lassen. Wer in seinem Leben große Reichtümer erwerben will, wird dafür logisch mit großen Leistungen an den Markt herantreten müssen. Wer schon alles Notwendige besitzt und wenig Neues erwartet, wird seine Leistungen auch entsprechend reduzieren.

Zweitens: Wenn ein Marktsystem offen ist für die individuellen Bedarfskalküle und jedem gestattet, in den Markt an Leistung einzubringen, was an Gegenleistung aus dem Markt zu nehmen beabsichtigt wird, dann kann es keine Überproduktion geben, sondern allenfalls mehr oder weniger günstige Märkte. Wenn das Marktsystem jedem die Freiheit läßt, den günstigsten Markt für seine Dienste anzustreben, dann kann es keinen auf Dauer ungünstigen Markt geben. Auch die Bedarfsstruktur findet unter der Bedingung des freien Marktes automatisch ihr Abbild und Sättigung seitens der sensibel nachfolgenden Angebotsstruktur.

Aber: In der kapitalistischen Ökonomie ist alles anders, denn in ihr geht es nicht um den Ausgleich und den Bedarf. Sie ist nicht elastisch, sondern ganz und gar darauf ausgerichtet, den Kapitalstücken eine Verzinsung zu steuern. Um Kapitalverzinsung dreht sich alles Denken und alle Organisation. Arbeit und Arbeitslosigkeit sind in ihr drittrangige Nebenerscheinungen, kein Motiv.

Von diesem Standpunkt aus möchte ich die von WINFRIED VOGT aufgeworfene Frage einer »kapitalistischen und einer laboristischen Ökonomie« nach OPPENHEIMERschen und eigenen Prämissen reformulieren. VOGT sieht die Möglichkeit, daß es neben der bekannten kapitalistischen Marktökonomie eine weitere Marktökonomie geben könnte, die in ihrer inneren Logik nicht der Dominanz des Kapitalinteresses folgt. Er nennt diese zweite Ausprägung laboristische Ökonomie, weil in ihr die Arbeit eine optimale Organisation finden soll. Die Frage wäre nur, durch welchen inneren Mechanismus sich die beiden Marktwirtschaften zu unterscheiden hätten. Und an diesem Punkt wählt VOGT den analytischen Rahmen der neoklassischen Gleichgewichtstheorie und versucht, in ihr den Begriff der Produktionsweise zu integrieren. Er schreibt folgendes:

„Was kann man sich unter einer optimalen Produktionsweise vorstellen? Jedenfalls muß man davon ausgehen, daß die Optimalität durch den Nutzen der Beschäftigten definiert ist. Es handelt sich um jene Produktionsweise, welche die Beschäftigten zumindest bei gegebenem Ertrag, aber darüber hinaus im laboristischen Gleichgewicht auch unter Berücksichtigung der Ertragsmöglichkeiten, allen anderen Produktionsweisen vorziehen. [S. 212] Daraus kann man schliessen, daß bei dieser Produktionsweise die Art und Weise der Tätigkeit besonders befriedigend sein muß. Dies wiederum dürfte damit zusammenhängen, daß die Beschäftigten diese Art und Weise ihrer Aktivitäten soweit wie möglich selbst bestimmen. Man wird sich also Unternehmungen, in denen die optimale Produktionsweise verwirklicht ist, als »selbstverwaltete Unternehmungen« vorstellen können, mit allen Assoziationen, die sich damit verbinden lassen. Insbesondere wird man an eine möglichst große Selbständigkeit der Arbeit denken, an eine gewisse Vielseitigkeit, an Abwechslungsreichtum, Gestaltungsspielräume etc., einerseits im Hinblick auf den Charakter der Arbeit selbst, andererseits auch im Hinblick auf den Charakter der Produkte.“[416]

Die von VOGT angesetzte Unterscheidung wurde auf S. 12 wie folgt verdichtet: „Die möglichen Produktionsweisen werden danach unterschieden, ob sie in erster Linie am Ertrag oder an den Arbeitsbedingungen orientiert sind. Es wird gezeigt, daß es zwei qualitativ sehr verschiedene Ökonomien geben kann: Eine kapitalistische Ökonomie, deren Gleichgewicht im Bereich ertragsorientierter Produktionsweisen liegt, und eine »laboristische« Ökonomie, deren Gleichgewicht auf einer arbeitsorientierten Produktionsweise beruhen würde.“

Doch leider verbaut dieser Ansatz m. E. den Weg zu einer Lösung. Nicht Ertrag und Arbeitsbedingungen scheiden die kapitalistische von der laboristischen Ökonomie, sondern der Gegensatz von Ertragsmaximierung und Profitmaximierung. Der bürgerlichen Ökonomie erscheinen sie als ein und dasselbe, sind aber zwei völlig verschiedene Dinge, weil sie aus zwei verschieden gearteten Quellen stammen.

Der englische Arzt W. KING hat in seiner Monatszeitschrift »The Co-operator« 1828/29 treffend geschrieben: „Die Grundlage, das Geheimnis um das Genossenschaftswesen ist die Arbeit. Man nehme von dem Produkt der Arbeit weg, was für den Lebensunterhalt der Arbeiter notwendig ist; was dann übrig bleibt, ist Überschuß, der gespart wird und der, wenn angesammelt, zu Kapital wird, mit dessen Hilfe die Arbeiter sich selber beschäftigen und für sich selbst Nahrung und andere Artikel erzeugen könnten, gerade so, wie sie es gegenwärtig mit dem Kapital der Unternehmer machen.“[417]

Erträge sind privatökonomisch in realisierten Tauschwerten ausgedrückte Arbeitsleistungen, wohingegen Kapitalprofite eine Verzinsung von Rechtstiteln darstellen. Das Recht des Unternehmers, aus der gekauften Arbeitszeit seiner Beschäftigten einen maximalen Profit zu ziehen, stellt für dessen Privatökonomie einen Ertrag dar, beruhend auf eigener und fremder Arbeitsleistung. Der Ertrag des abhängig Beschäftigten reduziert sich entsprechend des Anteiles, den er freiwillig oder notgedrungen dem Unternehmer für dessen unternehmerische Dienstleistung der Arbeitsplatzbereitstellung abtritt. Man muß ja einmal sehen, daß in einem Wirtschaftssystem, in dem Arbeitsplätze »Mangelware« sind, auch diese Ware [S. 213] ihren Preis hat. Sie wird erstellt von dem Unternehmer, der nicht nur die Dienstleistung der Koordinierung von Produktionsprozessen erbringt, sondern ein interner Dienstleister gegenüber den Beschäftigten bezüglich des Produktes »Arbeitsplatz« ist. Je mehr Personen um ein knappes Gut konkurrieren, desto höher steht sein Preis. Bezahlt wird indirekt und ohne offenen Vertrag in der Form des Lohnabzuges von dem eigentlichen Arbeitsprodukt. Mehr oder weniger ist dem Beschäftigten jedoch bewußt, welches Einkommen er bei Selbständigkeit erwirtschaften könnte. Auf der negativen Selbsteinschätzung und Höherschätzung des Unternehmerangebotes beruht dann der freie Entschluß, in der Form einer abhängigen Beschäftigung zu den angebotenen Konditionen in ein Unternehmen einzutreten. Eine durch und durch auch ideologisch kapitalistische Ökonomie sorgt allerdings politisch dafür, daß es in diesem Punkte keinen freien Entschluß gibt, und die lohnabhängige Existenz für eine bestimmte gesellschaftliche Klasse die einzig eingeübte und materiell (oder im Falle extrem-kapitalistischer Ökonomien gar rechtlich[418]) mögliche ist.

Aus dem bis hierhin Gesagten ergibt sich ein anderer Lösungsansatz als der von VOGT gewählte. Der Unternehmer ist »Produzent« zweier Produkte, a) dem seines offiziellen Unternehmensgegenstandes, z. B. Autos und b) des Arbeitsplatzangebotes an seine Beschäftigten. Bei Produkt A konkurriert er mit allen Anbietern gleichen Typs und ist zu niedrigen Preisen gezwungen. Bei Produkt B kooperiert er mit allen Anbietern des gleichen Typs in entsprechenden Unternehmerverbänden. Ziel des Unternehmerverbandes ist, den Preis für das Produkt Arbeitsplatz in die Höhe zu treiben[419]. Bezahlt wird dieser, wie gesagt, durch Abschlag vom erstellten Wert beim Lohn. Es ist in der kapitalistischen Ökonomie eine durch nichts sanktionierte Strategie, durch Rationalisierungsinvestitionen und Verhinderung von Arbeitszeitverkürzungen bzw. gar Arbeitszeitverlängerung trotz hoher Arbeitslosigkeit die Relation von Arbeitsplatzangebot und Arbeitsplatznachfrage dauerhaft ungünstig gegen die Interessen der abhängig Beschäftigten zu stellen. Dieses Verhältnis [S. 214] wird als »Fortschritt« sogar von den meisten politischen Sprechern begrüßt, weil es die Kapitalprofite der unternehmerischen Individualwirtschaft in die Höhe treibt.

Für die Klasse der Unternehmer gilt, daß sie ihre Profite im Erstellungsprozeß erhöhen können, je knapper die Zahl verfügbarer Arbeitsplätze ist. Dafür brauchen sie nichts weiter zu tun, als in arbeitssparende Techniken zu investieren, wo immer dies irgend möglich ist. Ist ein gewisser Überhang an Arbeitsplatznachsuchenden erst einmal geschaffen, die Vollbeschäftigung auf hohem Lohnniveau durchbrochen, wird die Strategie zu einem Selbstläufer. Denn jeder erzielte Kapitalprofit kann weitere gleichgelagerte Aktionen nach sich ziehen und den Arbeitsmarkt weiter unter Druck setzen. Die im nächsten Abschnitt folgende Krisentheorie erläutert, warum der Mechanismus zyklischen Zusammenbrüchen und Wirtschaftskrisen entgegenstrebt.

Doch bleiben wir bei den Individualkalkülen und dem von VOGT gestellten Problem. VOGT spricht von »Produktionsweise«, »Arbeitsbedingungen« und »Nutzenmaximierung«. Damit stolpert er m. E. an einer für »Alternativökonomen« typischen Stelle. Der eigene »Nutzen« ist ein privatökonomischer, kein marktökonomischer Begriff. Wer in seinem Alternativbetrieb die Seele pflegt, der erstellt mit den Mitteln seines Haushaltes die Dienstleistung »Seelenpflege« und konsumiert sie zugleich. Alles, was kein erstelltes Tauschprodukt ist, ist Eigenverzehr. Nur was mit Zielrichtung Markt hervorgebracht wird, fällt unter den Begriff »Produktion«, der im ursprünglichen Sinne nichts anderes bedeutet als »zu Markte tragen«. Und dieses Produkt erhält seinen Tauschwert ausschließlich durch den Nutzen, den es seinem potentiellen Käufer in Aussicht stellt. Das ist das Geheimnis des vermittelnden Marktes: Es wird für den fremden Nutzen produziert. Und nur wenn das gelingt, erhält der Produzent Gegenwerte zum eigenen Nutzen.

Das »Glück am Arbeitsplatz« oder die »Arbeitsbedingung« ist für die Privatökonomie des Individuums ein wichtiger Faktor. Es ist sein »Aufwand«, den es zu ersetzen gilt, wenn eine Beeinträchtigung hingenommen werden soll[420]. Es kann Teil der Bezahlung sein, neben der Erstellung von Tauschwerten und Arbeitsplätzen auch noch ein höheres »Glück« in einem Unternehmen mit anzubieten als der freie Mensch außerhalb des Unternehmens kennt. Aber: Marktökonomisch interessiert alleine, was nach innerbetrieblicher Verrechnung von Aufwand und Eigenverzehr als Tauschwert auf den Markt gelangt. Der Rest ist Privatökonomie des Unternehmers, wenn er durch derlei Strategien seine Kosten senken kann, oder es ist Privatökonomie jeder einzelnen Person eines Alternativbetriebes, wenn man mit einer anderen Arbeitsweltvorstellung produziert, was nicht heißen soll, daß eine andere[S. 215] Arbeitsweltvorstellung nicht zugleich produktiver pro eingesetzter Arbeitsstunde sein kann.

Gewiß, in der kapitalistisch bzw. laboristisch orientierten Unternehmung liegen die angestrebten Optima verschieden. Aber ich will zunächst eine Unterscheidung versuchen, bevor wir die andere Gewichtung suchen:

  1. a) Die wirtschaftenden Personen produzieren ihre Arbeitsplätze selber, statt diese als Dienstleistung von einem Unternehmer zu beziehen. Sie reduzieren damit die Knappheit des Angebotes »Arbeitsplatz« und verdienen sich neben dem Tauschwert ihres Produktes auch noch den Abschlag, der sonst an den Unternehmer gezahlt werden müßte. Ist die Fähigkeit zur Selbstorganisation höherwertiger als die Unternehmerleistung unter Knappheitsbedingung, dann steigt das Einkommen der selbstorganisierten Personen. Ist sie geringerwertig, dann sinkt es.
  2. b) Die wirtschaftenden Personen produzieren neben den an einen Markt gerichteten Produkten zusätzlich Leistungen für den Eigenverzehr. Was früher in einer Haus-oder Hofwirtschaft für den Eigenverbrauch hergestellt wurde und den Markt nie erreichte, wird hier von und für den Eigenverbrauch des wirtschaftenden Personenkreises erstellt. »Produkt« (hier in Anführungszeichen, weil nicht zu Markte getragen) kann jede Form des Dienstes sein, die man an sich selber oder gegenseitig leistet. Diese Dienste bleiben natürlich in Marktpreisen unbewertet, sind aber Teil des subjektiven Nutzen, den eine Person aus der Alternativunternehmung bezieht. Er ist ferner verbunden mit »Alternativkosten«, will meinen, daß während der Zeit der Erstellung von Diensten zum Eigenverzehr in aller Regel die Herstellung von Marktprodukten ausfällt. Da diese in Preisen bewertet sind, hat auch die Unterlassung einen Preis. Das Kunststück des Alternativ-Seins besteht nun nicht darin, diese Zusammenhänge zu ignorieren, sondern sich wissentlich zu entscheiden. Wer für sich die Quantität erwünschter Tauschwerterstellung und den Wert nicht tauschwertorientierter Tätigkeiten festgelegt hat, der kann z. B. einen Alternativbetrieb der Form konstruieren, daß Zeit und Energien 50 zu 50 % der einen und der anderen Aktivität zukommen. Dies ist der Faktor der Elastizität eines Alternativbetriebes. Welche Einstellung in ihm zum Tragen kommt, hängt von den Bedürfnissen und Fähigkeiten der versammelten Personen ab. Auch ein 100 %ig auf Tauschwertproduktion hin orientierter Betrieb kann selbstorganisiert sein und in irgendeiner Weise »alternativ« der herrschenden Normalität entgegenstehen. Man denke sich eine Personengruppe, die alle drei Jahre für ein Jahr Urlaub machen will, um die Welt zu bereisen und dies im Wechsel organisiert. Oder eine Gruppe, die mit 40 die »Rente durch« haben will, also bis dahin genügend Tauschwerte für das ganze restliche Leben ansammeln will, um für den Rest frei von Erwerbstätigkeit zu sein. Und so weiter.
  3. c) Bei der Entscheidung über die Arbeitsweise stellt sich ein laboristisches Gleichgewicht nach anderen Kriterien ein als das kapitalistische. Wie in obigem Zitat von KING angedeutet, basiert der Reproduktionszyklus des Menschen auf Leistungserstellung [S. 216] durch Arbeit und anschließendem Verzehr. Die Arbeit ist ihm Quelle aller Werte, was nicht bedeutet, daß diese heilig wäre und nicht reduziert werden dürfte. Aber: das Investitionsmotiv der Arbeit ist die Faulheit, und das Investitionsvolumen des Arbeitenden wird begrenzt durch die Anstrengung, welche nötig ist, die Faulheit als Zustand zu erreichen. Das Optimum der arbeitsorientierten Investition ist ein Aufwands-Ertrags-Optimum gemessen in Arbeit. Dagegen verhält es sich mit der kapitalorientierten Investition gänzlich anders. Sie sucht das Einsatz-Profit-Optimum und findet dieses stets dort, wo sich Abhängigkeiten profitträchtig einrichten oder ausnutzen lassen. Die laboristische Ökonomie benötigt keine Abhängigkeiten. In ihr werden die Menschen von der Notwendigkeit getrieben, das, was sie verzehren wollen, in gleichem Werte auch erstellen zu müssen.

Kommen wir also zu einer ersten Zusammenfassung und stellen fest: Eine laboristische Ökonomie steht und fällt mit der Verbreitung produktiv-organisatorischer Fähigkeiten in einer Wirtschaftsgesellschaft. Stellen wir fest, daß die soziale Klasse der Unternehmer auf Märkten Schlüsselpositionen besetzt, die von klassenmonopolistischer Struktur sind bzw. ein natürliches Motiv zur kollektiven Verknappung beinhalten. Der hier wirkende Mechanismus wird unter Punkt 3.1. (↑ 232) anläßlich einer anderen Form des »Marktversagens« in der Wohnungswirtschaft vertieft diskutiert. Er wirkt ähnlich auf dem Arbeitsmarkt. Der Grundmechanismus der Ausbeutbarkeit und damit Attraktivität für den Kapitalisten zur Tätigung einer »Investition« ruht auf der Existenzunsicherheit des »freien Arbeiters«.

„Wenn er nämlich gar nichts absetzt, so hat er, der nur die eine Ware zu Markt gebracht hat, überhaupt kein Mittel, seine eigenen Bedürfnisse zu beschaffen; er muß also auch die dringlichsten Bedürfnisse, diejenigen, die in seiner Dignitätsskala obenan stehen, unbefriedigt lassen, und das wird oft unmöglich und fast immer bedenklich sein. Wenn es sich um Existenzbedürfnisse handelt, die er als Käufer gebraucht, dann muß er als Verkäufer wenigstens einen Teil seiner Produktion um jeden Preis »losschlagen«, der ihm überhaupt geboten wird, um nicht zugrunde zu gehen: in dieser Lage befinden sich der Regel nach z. B. die »freien Arbeiter«, die nur Dienste anzubieten haben. (Und OPPENHEIMER setzt in einer Fußnote fort:) Hierzu gehört auch die sog. »Panik des Angebots«, z. B. von Effekten in Krisenzeiten. Hier hängt oft die wirtschaftliche Existenz der Schuldner davon ab, daß sie genügend Zahlungsmittel erlangen; darum »werfen sie ihre Werte auf den Markt«.“[421]

Es bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung, daß die unterschiedlichen »Dringlichkeiten des Austauschbedürfnisses«, verbunden mit Knappheit hier und »Panik des Angebotes« dort, preisbestimmend wirken. VOLKER KRUSE hat diesen Gedankengang OPPENHEIMERs treffend ausgearbeitet[422]. Doch möchte ich OPPENHEIMERs Grundauffassung an dieser Stelle mit etwas anderen Worten belegen. Nicht das von ihm herausgestellte Einkaufsmonopol des Kapitals in Sachen »Arbeit« in Verbindung [S. 217] mit einem denkbaren Überangebot an Arbeitskraft nennt Roß und Reiter, sondern erst das Verkaufsmonopol bezüglich der nachgefragten Dienstleistung »Arbeitsplatz«[423] bezeichnet, was wirklich knapp ist, samt Quelle des monopolistischen Knappheitspreises, auf den die Klasse der Arbeitsplatzanbieter bekanntermaßen geschlossen Einfluß nimmt.

Eines wird wohl kaum jemand bestreiten: Eine Wirtschaft funktioniert mit 1000 Personen nach ähnlichen Regeln wie mit 100 Milliarden. Es gibt aus der höheren Bevölkerungsdichte resultierend sogar den Vorteil der kürzeren Wege und vertieft organisierbareren Arbeitsteilung. Lediglich der Nahrungsmittelspielraum und die Zerstörung der Umwelt durch nicht geschlossene Wirtschaftskreisläufe, in denen die Kosten der Verschmutzung externalisiert werden, statt daß die Beseitigung in die Preise mit hineingezwungen wird, alleine dies bestimmt die »natürlichen« Grenzen der Weltbevölkerung und somit auch Arbeitsbevölkerung. Auch heute noch würde die gesamte Weltbevölkerung stehend auf der doppelten Fläche des Bodensees Platz finden[424], so groß ist der Planet im Vergleich zur menschlichen Zahl. Ein »Zuviel« an Arbeitskräften ist ein logisch unzulässiger Gedanke. Nur ein »Zuwenig« an Arbeitsplätzen macht in der kapitalistischen Ökonomie Sinn, ist geradezu ihr »Wesen« oder das Prinzip des Ausbeutungsmechanismus.

Warum aber, wenn die Dinge doch so klar sind, wird über sie nur ohne Ende geklagt?

Erstens wird bei uns sehr viel weniger studiert als vielmehr gelernt und gelehrt. Die banalsten Irrtümer der Wissenschaft können problemlos über lange Zeit hinweg unerkannt bleiben oder sogar von einzelnen erkannt werden, ohne daß dies die Tradition des Irrtums antastet. Es gibt also ein beängstigendes Leistungsdefizit der Wissenschaft, das sich diese selber nur selten offen eingesteht.

Zweitens waren die Dinge bereits klar und wurde an ihnen gerüttelt, als die Arbeiter auf produktivgenossenschaftlichem Wege das Monopol ihrer Klassengegner durchbrechen wollten. Bei diesen frühen Versuchen, als den Menschen instinktiv ihre Lage noch sehr viel klarer war, fehlten ihnen nur die [S. 218] Mittel, die Kenntnisse und das Recht (»Erlaubnis des Klassengegners«). Wir werden unter Punkt 3.5. (↑ 288) darauf zurückkommen.

Drittens waren die Dinge nach dem Kriege einigen Leuten weitgehend klar und steht die Vollbeschäftigung als Ziel nicht zufällig im Stabilitätsgesetz. ERHARD, EUCKEN, PREISER und RÜSTOW wußten, was sie aus welchem Grunde anstrebten. Daß man bis heute erhaben darüber hinwegsieht, liegt in der Eigenart der Wiederherstellung kapitalistischer Gleichgewichte und ihrer begleitenden Ideologie.

Viertens hat sich nicht nur das Kapital als Klasse formiert, sondern ebenso die Arbeit. „Je hemmungsloser der pluralistische Staat das monopollüsterne Unternehmertum begünstigte, desto mehr sah sich die Arbeiterschaft auf Selbsthilfe in der gleichen Richtung angewiesen. Die Gewerkschaftsbewegung wuchs und trat in das Wettrennen nach Machtpositionen gleichfalls ein, indem sie nach Monopolstellungen auf dem Arbeitsmarkt strebte und dafür schließlich gleichfalls die Hilfe des Staates in Anspruch nahm (denn was dem einen recht ist, ist dem anderen billig).“[425] Seitdem sich die Gewerkschaften darauf eingerichtet haben, den Preismechanismus des Arbeitsplatzmarktes mit einer entgegengerichteten Monopolisierungsstrategie zu beeinflussen, stehen sich im Grunde zwei Institutionen gegenüber, die beide an dem Fortbestand der gegebenen Verhältnisse interessiert sind. Die Arbeitgeber kaufen abhängig Beschäftigte zu faireren Preisen, und die Gewerkschaften vertreten diese bei den Preisverhandlungen. Der Unternehmensgegenstand der Gewerkschaften und ihrer Bediensteten ist die Abhängigenvertretung, so daß aus diesen Reihen aus wohlverstandenem Berufsinteresse heraus keine institutionell getragenen Impulse einer Umorientierung erwartbar sind. Die Forderung der Gewerkschaften gegenüber ihrem Verhandlungspartner, daß dieser irgend etwas machen solle, ist die offene Anerkennung der eigenen, klassenspezifischen Inaktivität. Wer den Unternehmern die Angebotsseite eines Produktes monopolistisch überläßt, handelt nicht klassenbewußt und sinnt auf Veränderung, sondern richtet sich ein. So wie Automobilkonzerne keinen Wert auf gute Schlösser in ihren Produkten legen, weil jeder Diebstahl den Umsatz steigert, Versicherungskonzerne keinen Druck auf die Automobilindustrie ausüben, weil jeder Diebstahl die Notwendigkeit der eigenen Dienstleistung dokumentiert, so viel oder wenig interessiert die Gewerkschaften eine unternehmerische Selbstorganisation ihres Klientel. (Ich hoffe, diese Sätze schmerzen. Denn natürlich kann man eine moderne Gewerkschaft auch mit einem anderen Organisationsziel aufbauen, als ausgerechnet der dauerhaften Abhängigenvertretung.) [S. 219]

Denkt man sich

  • die »Elastizität« des Alternativbetriebes,
  • das unternehmerische Können als gesellschaftliches Lernziel,
  • die materiellen Möglichkeiten alleine schon auf der Grundlage gegenwärtiger Einkommensverteilung in Deutschland
  • sowie eine juristisch und staatspolitisch aufgeklärte Handhabung des Genossenschaftswesens,

dann erscheint der Wegfall des ausbeutbaren Arbeiters als eine reproduzierbare historische Realität (vgl. die junge Zunft ↑ 42). Daß die »reine Ökonomie« OPPEN-HEIMERs, der »liberale Sozialismus«, eine »laboristische Ökonomie« im Sinne VOGTs ist, wird bis hierhin sicherlich aufgefallen sein, wenngleich der von VOGT beschrittene Lösungsweg mit dem OPPENHEIMERs vom Standpunkt der Theorie aus nicht deckungsgleich ist. Wir werden das Thema unter Punkt 3.5. (Produktivgenossenschaften ↑ 288) fortführen.

2.4.4. Wegfall der kapitalistischen Krisenzyklen

„Folgendes ist der Hexenkreis: die kapitalistische Verteilung läuft, wie wir zeigten, darauf hinaus, daß sämtliche an der Gütererzeugung beteiligten Arbeitenden: Leiter, Angestellte und Arbeiter insgesamt, mit ihren Löhnen ihr Produkt nicht zurückkaufen können. Ein gewaltiger, stets wachsender Teil bleibt zur Verfügung der Inhaber der Produktionsmittel in Stadt und Land, der Kapitalisten. Diese sind nicht nur nicht imstande, den ungeheuren gesellschaftlichen Mehrwert in Gestalt von Gütern oder Luxusdiensten zu verbrauchen, sondern sie dürfen es nicht einmal wollen können. Die Not des feindlichen Wettkampfes zwingt sie kategorisch, einen beträchtlichen Teil des ihren Konsum überschreitenden Einkommens zu kapitalisieren, d. h. in immer wirksameren, immer produktiveren Werkgütern anzulegen, dadurch die disponible Gütermasse immer mehr zu steigern; und den anderen Teil, der aus dem soeben dargelegten Grunde immer mehr anschwillt, auf fremde Märkte zu exportieren.

Aber sie können nicht Waren exportieren, um dafür fremde Waren zu importieren. Würden sie das tun, so stände dasselbe Problem wieder vor ihnen, von dem wir ausgegangen sind: die Unmöglichkeit, diese eingeführten Güter selbst zu verbrauchen, und ebenso die Unmöglichkeit, sie zur Gänze an die Lohnempfänger abzusetzen. Wir haben geschrieben[426]: Dem ungeschulten und leider auch manchem geschulten Auge stellt sich der Welthandel so dar, daß die Völker Güter und Dienste tauschen: ägyptische oder amerikanische Baumwolle gegen norwegische Fische oder britische Frachterdienste, italienische Orangen und spanischen Wein gegen französische Luxuswaren oder deutsche Chemikalien gegen russischen Weizen: segensreiche internationale Arbeitsteilung und Vereinigung! Und man versteht nicht recht, wie es darüber zu Konflikten und Kriegen kommen kann, weil ja doch bei steigendem Angebot die Nachfrage entsprechend wächst, und auf die Dauer [S. 220] alle Völker nur Vorteil davon haben können. Aber man sieht kaum jemals, daß ein Teil, und zwar ein gewaltiger und ständig wachsender Teil der von hochkapitalistischen Nationen ausgeführten Güter gar nicht die Bestimmung hat und haben kann, andere Güter zu kaufen, sondern daß er ausgeführt wird, um Machtpositionen dafür einzutauschen: Rechtstitel, »Kapitalstücke«, deren Zinsen und Dividenden gleichfalls Mehrwert sind, aber gesteuert von den Proletariern fremder Länder. Diese Exporte von Gütern und diese Gegenimporte von »Kapital im privatwirtschaftlichen Sinne« sind für eine kapitalistische Volkswirtschaft auf höherer Entwicklungsstufe eine vitale Notwendigkeit, und zwar aus dem soeben dargelegten Grunde:

Sollte irgendeine nationale Bourgeoisie gezwungen sein, alle Produkte, die im Inlande hergestellt, oder gegen inländische Produkte aus dem Auslande eingeführt werden, auch im Inlande selbst zum Verbrauch zu bringen, so wäre der Kapitalismus tot. Denn entweder müßte sie den ganzen Mehrwert selbst konsumieren: dann aber wäre sie gezwungen, ihn zum allergrößten Teile in Gestalt von hochwertiger Handwerks-und Künstlerarbeit oder von Luxusdiensten zu verzehren. Zu dem Zwecke aber müßte sie die Produktivität der Gesamtwirtschaft nicht bloß stabilisieren, sondern gewaltig zurückschrauben, Maschinerien von weit geringerer Wirksamkeit an die Stelle der heutigen setzen, kurz, nach der Art antiker Oikenbesitzer oder mittelalterlicher Feudalherren leben. Diesen Ausweg aber versperrt die Notwendigkeit des feindlichen Wettkampfes jedem einzelnen bei Strafe des wirtschaftlichen Untergangs, und so kann ihn die Klasse als Ganzes nicht betreten. Es bliebe also nur die zweite Möglichkeit, diese ganze ungeheure Warenmasse den Produzenten selbst als Lohn zu überlassen. Damit aber wäre das Kapitalverhältnis aufgehoben.

Das ist der Hexenkreis, von dem wir sprachen. Der Kampf um die Weltmärkte ist vitale Notwendigkeit der kapitalistischen Bourgeoisie. Wir erleben ja heute täglich die tragikomische Tatsache, daß die Sieger im Weltkriege, trotz aller Finanznot und Verschuldung, sich weigern müssen, den größten Teil der Kriegsentschädigung anzunehmen, die die Besiegten bereit sind, in der einzigen Valuta zu zahlen, die möglich ist: in Gütern und Diensten. Man stelle sich vor, welches Geschrei in Frankreich über deutsche Intriguen entstanden wäre, wenn Deutschland sich erboten hätte, sämtlichen französischen Familien der Unterklasse ein fertiges Haus mit vollem Mobiliar und Inventar und angelegtem Garten als Kriegsentschädigung zu erbauen. Das hätte die französische Bourgeoisie durch Verlust großer Teile ihres Binnenmarktes und Hebung der Unterklasse und der Löhne sofort ruiniert: man sieht hier erstens, wie die angebliche Solidarität der Klassen in Wahrheit beschaffen ist, und zweitens, eine wie unmögliche Gesellschaftsordnung der Kapitalismus ist.“[427]

Die Krise der kapitalistischen Ökonomie beruht danach also, wie bereits unter Punkt 1.3.3. dieser Arbeit (↑ 114) bemerkt wurde, auf einer Art Rückkoppelungseffekt. Ist die gleichmäßige Verteilung der Kapitalstücke erst einmal aus dem Lot, [S. 221] dann erreicht die außerordentlich besitzende Personengruppe den Punkt, mit den ihn gehörenden, in den Markt gebrachten Konsumgütern keine gleichen Werte mehr aus dem Markt nehmen zu können, weil die Verzehrfähigkeit jedes Menschen natürliche Grenzen hat. Diese Personen können nur entweder Luxusgegenstände oder Rechtstitel erwerben, die im letzteren Falle nochmals einkommenssteigernd wirken. Man könnte nun einwenden, daß eine Wirtschaft Produktionsmittel benötigt und diese Klasse der »Investoren« existentiell wichtig wäre. Der erste Teil der Aussage ist richtig. Er steht mit dem zweiten Teil jedoch in keiner logischen Verbindung, denn die Streuung der Produktionsmittel kann gleichmäßig sein und aus jedem Haushalt mit einem ähnlichen Anteil erfolgen. Außerdem liegt das Problem nicht auf der Ebene der Existenz von Werkgütern (Produktionsmitteln), sondern auf der Ebene der durch einseitigen Besitz an ihnen zwanghaft eingeleiteten Bewegung.

„Denn der Kapitalist, namentlich der industrielle Unternehmer der Neuzeit, steht, im Gegensatz zu jenen Vorgängern, im »feindlichen Wettkampf«[428] mit den anderen Unternehmern, der ihn zwingt, fortlaufend einen sehr bedeutenden Teil seines Einkommens auszugeben, zu »investieren«. Aus diesem Grunde wächst das industrielle Massenprodukt zu immer gewaltigeren Mengen an, wird das Mißverhältnis zwischen Produktivkräften und Kaufkraft der gesamten Gesellschaft immer größer. So ergeben sich notwendigerweise die Absatzkrisen als Ausdruck dieses Mißverhältnisses mit ihren verheerenden Folgen für die schwächeren Kapitalisten, die in Bankrotten zusammenbrechen, und die Angestellten und Arbeiter, die ihre Beschäftigung und ihren Lohn einbüßen. Um ein drastisches Bild zu gebrauchen, so gleicht der Markt einem starren Gefäß, sagen wir: einem eisernen Kessel, in den oben ein Zuflußrohr hinein-, aus dem unten ein Abflußrohr hinausführt. Solange der Querschnitt beider Rohre gleich groß ist -und das ist der Fall in der »reinen«, monopolfreien Ökonomie -, kann man beliebig viel Flüssigkeit (Warenwerte) hindurchjagen, hindurchpressen: im Kapitalismus aber wird das Zuflußrohr fortwährend um vieles mehr vergrößert, als das Abflußrohr (durch die Zunahme der Bevölkerung und ihrer Kaufkraft) wachsen kann; und daher muß jeder Versuch, mehr Flüssigkeit (Warenwerte) hindurchzujagen, dazu führen, daß sie zurückstrudelt oder der Kessel platzt.“[429]

[S. 222] Gegen diese Grundauffassung OPPENHEIMERs könnte man den Einwand erheben, sie sei »zu einfach«, als daß sie wahr sein könne. Immerhin pflegt man gewöhnlich in verwirrender Weise dicke Bücher mit dem Thema zu füllen und dennoch keine Einigung über den Gegenstand zu erzielen. Ist »Einfachheit« also ein Makel? Und wie »einfach« ist die Anschauung wirklich?

Vergleicht man sie etwa mit den Ausführungen SCHUMPETERs, dann konzentriert sich OPPENHEIMER auf wenige Punkte. Ohne Frage gibt es Krisen, die durch Fehleinschätzungen ganzer Branchen ausgelöst werden. Etwa glaubte die Automobilindustrie noch 1991 an ungebrochen ansteigende Absatzzahlen und plante entsprechend ihre Produktion. Zwei Jahre später mußte sie sich korrigieren und erlitt erhebliche Verluste aus Fehlplanung. Auch ist es heute ein Fehler, das Produkt weiter unökonomisch und kraftstrotzend auf Geschwindigkeiten jenseits der 200 km/h-Grenze hin zu entwickeln, wenn nach Erhebungen des ADAC 40 % aller Autobahnstrecken eine Tempobegrenzung aufweisen und der ungehemmte Verbrauch von Primärenergie zunehmend als unverantwortlich erkannt wird, also absehbar in steigende Steuern und Preise für Energie mündet. Objektiv gegenläufige Signale werden von diesen Branchen nur mangelhaft realisiert und werden wahrscheinlich in einer Branchenstrukturkrise erheblichen Ausmaßes enden. Auch solche Krisen sind ganz typische Ausläufer kapitalistisch-zentralisierter Herrschaftsstrukturen, die nicht mehr auf die Signale des Marktes reagieren, sondern den Markt ihrerseits monopolistisch manipulieren, bis das Kartenhaus der Suggestionen von den gegenläufigen Realitäten eingeholt wird. Dann hört man allseitig Klagen und eine Panik erfaßt die Jongleure. Gewiß, wer eine Pyramide auf der Spitze aufbaut, muß damit rechnen, daß sie umfällt. Von solchen Effekten schreibt SCHUMPETER einiges mehr als OPPENHEIMER und hat damit recht[430]. Er faßt diese Art der Erscheinungen aber gleichsam unter die Kategorie der »Unglücksfälle« (S. 285) und ist bemüht, die vielerlei kleinen Störungen von dem »mächtigen Wellenschlag der wirtschaftlichen Entwicklung« (S. 295) zu unterscheiden.

„Die Krisen sind Wendepunkte der wirtschaftlichen Entwicklung. Und nur soweit sie es sind, wollen wir uns mit ihnen beschäftigen. Auf diese Fälle wollen wir auch den Ausdruck »Krisen« beschränken, alle anderen sollen nur prinzipiell uninteressante Unglücksfälle sein.“ (S. 294)

Auch bei SCHUMPETER bleibt also letztlich nur die Betrachtung einer Bewegung, für die er eine Erklärung anbietet. Damit legt er seinen Untersuchungsgegenstand weitläufiger frei und erläutert durchaus interessante, randständige Momente unter der Rubrik »Krisentheorie« ausführlicher als OPPENHEIMER. Doch was bietet er uns im Kern? [S. 223]

Gegeben ist SCHUMPETER die Wellenbewegung. Gesucht wird daraufhin eine Erklärung für das, was offensichtlich ist. Die Gefahr des Ansatzes liegt auf der Ebene der nachträglichen Rationalisierung von Offensichtlichem, die letztlich tautologisch »argumentiert«, weil das geschaffene »Theorem« sich kaum anhand der Realitäten überprüfen läßt, wenn die »Erklärung« nichts anderes als eine Beschreibung mit anderen Worten wäre. Methodisch gehaltvoller wäre ein Ansatz, der zunächst das Gesamtgeschehen im System erfaßt und dann aus dem Gesamtzusammenhang den Sonderfall »Krise« deduziert. Das ist die Vorgehensweise OPPENHEIMERs[431]. Die Erklärung der »Krise« fällt nicht einfach aus, weil OPPENHEIMER plötzlich einen oberflächlichen Streich führt, sondern weil es nach der Vorarbeit, wenn sie denn stimmt, nur noch einer einfachen Ableitung bedarf. Sie steht in Übereinstimmung mit allem, was bis hierhin gesagt wurde. Und sie ließe sich zusätzlich anhand der empirischen Tatsachen prüfen, wenn man in diesem Lande nur leichter an Daten über Einkommen und Vermögen herankäme. Die Bedingung der Falsifikation lautet einfach: Sollte es bei gleich verteiltem Produktivvermögen (oder besser: Zins und Profit tragenden Kapitalstücken[432]) zu ökonomischen Krisen kommen, dann ist OPPENHEIMERs Theorie falsch. Man könnte auch noch die Umkehrung akzeptieren: Sollte es bei ungleich verteiltem Produktiv-bzw. Kapitalvermögen zu keinen Krisen kommen, dann ist OPPENHEIMERs Theorie falsch. Mit anderen Worten: ökonomische Krise und kapitalistische Wirtschaft sind eins. Sie sind Schulden-, Akkumulations-bzw. Harmoniekrisen in einem Bewegungsmodell, so etwa wie die Thrombose in der Medizin oder der Hurrikan in der Meteorologie[433].

[S. 224] SCHUMPETER geht in diesen Dingen einen gänzlich anderen Weg. Erst verweigert er die Fallunterscheidung von kapitalistischer und reiner Ökonomie, indem er beide als eines und dasselbe setzt. Sein Enthusiasmus in diesen Dingen ist hier gleich dem bereits zum Thema »Machtverhältnis« oben (↑ 190) beschriebenen. Statt dessen gelten ihm »führende Persönlichkeiten«, die die wirtschaftlichen Gegebenheiten »in neue Bahnen hinübergeleiten«, indem sie die »zur Durchführung neuer Kombinationen nötigen Produktivmittel durch Entfaltung einer Nachfrage« ihrer »Herrschaft« unterwerfen (S. 284), als Ideal und geistiges Leitbild. Was liegt näher als die »Natürlichkeit« der Konjunkturverläufe in ihrer gewaltigen Kraft dem Unternehmerhandeln zuzuordnen? Das Kommen und Gehen der Genies, die mit jedem Auftritt ihren Aufstieg einleiten und das ganze System dabei erschüttern, das ist, vereinfacht gesagt, SCHUMPETERs »Theorie«. Gewiß, es bedurfte einiger Seiten mehr des Textes, um den Gedanken halbwegs glaubhaft auszubreiten. Wir bräuchten noch mehr, um den genommenen Weg zu kritisieren. Die Stufen volkswirtschaftlicher Relevanz werden erstiegen, indem Unternehmerhandeln ganze »Wertsysteme« zusammenbrechen läßt, die dann wahrlich als mächtiger Wellenschlag von Prosperität und Depression erscheinen, wenn erst einmal bewiesen wurde, daß der mächtige Wandel allen Unternehmen gleichermaßen die Randbedingung für Erfolg und Mißerfolg stellt. Was könnte SCHUMPETERs »Theorie« widerlegen? Nichts! Keine Wellenbewegung ist denkbar, ohne daß irgendwelche Individuen »auf der Welle reiten« und andere vielleicht ertrinken. Der Glücksritter und die Verlierer sind unabänderlicher Bestandteil jedes turbulenten Spieles irgendwelcher Kräfte. Da sie stets gemeinsam mit den zu erklärenden Phänomenen auftreten, ist die Behauptung eines ursächlichen Zusammenhanges einfach in den Raum gestellt, aber kaum zu widerlegen. Erst wenn die krisenfreie, reine Ökonomie OPPENHEIMERs realisiert wäre und dennoch viele tatkräftige Produzenten eine wirtschaftliche Entwicklung realisieren, dann wird man den Glauben an die kapitalistische Führerpersönlichkeit ersetzen durch die Anschauung leistungsfähiger Gruppen und Volkswirtschaften. Daß SCHUMPETER in diese Richtung einen Weg weist, darf man wohl berechtigt verneinen. Insofern ist seine »Krisentheorie« auch ohne irgendwelche praktische Relevanz, denn ob man sie kennt oder nicht, ändert nichts an den Gegebenheiten. Seine »Vision« bleibt vergleichsweise »weich«. Er schreibt (S. 323 f):

„Eine gute Organisation des Marktes, intellektuelles und moralisches Hochstehen der Unternehmer wird die Krise verhindern oder in engen Grenzen halten. Mit zunehmender wirtschaftlicher Kultur und mit zunehmender Erfahrung und Kenntnis der Tatsachen [S. 225] der Entwicklung verlieren die Krisen nach und nach ihre Heftigkeit, wie das ja die Erfahrung lehrt: Das eigentliche Krisenphänomen scheint mehr und mehr zurücktreten zu wollen. Die Entwicklung selbst bildet nach und nach eine bestimmte Technik des Verhaltens in Krisen aus und immer mehr tritt einerseits die blinde Flucht aus den eingenommenen Stellungen und andererseits jene brutale Art des Eingreifens seitens des Staates, der öffentlichen Meinung usw., die die Sache nur noch schlimmer machte, zurück. Die führenden Persönlichkeiten verlieren nicht gleich jede Gefolgschaft (...). Deswegen brauchen sie aber ihrer Führerrolle nicht ohne weiteres zu entsagen, sondern können auf wohlorganisierten Märkten im Einvernehmen mit der Bankwelt eine bewußte Aktion zur Vermeidung von Abnormalitäten des Liquidationsprozesses einleiten. So kann auch das wichtigste Problem gelöst werden, das sich in diesem Zusammenhange ergibt -nämlich zu verhindern, daß die notwendigen Zusammenbrüche verfehlter Unternehmungen auch lebensfähigen gefährlich werden. (...)“

2.4.5. Wettbewerb statt Wettkampf

Die Idee der marktlosen Gesellschaft (Planwirtschaft) beruht nicht unwesentlich auf der Erfahrung, daß der Markt (unter kapitalistischen Bedingungen) seine Vermittlungsfunktion nicht auf dem produktivitätstechnisch höchstmöglichen Niveau erfüllt und zudem die Mitglieder der unteren Gesellschaftsklasse in eine existenzbedrohende Konkurrenz gegeneinander hetzt. Die Begriffe »Konkurrenz« und »freier Markt« sind seitdem besonders in den arbeitnehmerorientierten Theorien und Parteien mit bitterem Beigeschmack belastet. Nicht ohne Grund, aber doch zu Unrecht, wenn man die beiden möglichen Ökonomien differenziert. Eine herrschaftsund monopolfreie Marktwirtschaft hat es noch nie gegeben, allenfalls eine mißbräuchliche Verwendung des Begriffes »Freiheit«. „... es (ist) eine falsch verstandene Freiheit (...), wenn man meint, unter dem Namen und mit dem Dogma der Freiheit die Freiheit selbst unterdrücken zu können.“[434] Wer also von »Freiheit« und »freier Marktwirtschaft« spricht, kann damit alles und sein Gegenteil meinen, je nachdem wessen Freiheit er meint. Nicht minder schwammig ist der Begriff »Konkurrenz«, denn vom freundschaftlich ausgetragenen Leistungswettbewerb bis zum Totschlag ist die Bandbreite menschlichen Gegeneinanders sehr groß. Weil wir aber wissen, daß der Ansporn zur Höchstleistung in dem Bestreben des Menschen nach Hochgeltung unter seinen Mitmenschen wurzelt, brauchen wir das Leistungsstreben selber nicht unbedingt zu problematisieren, sondern müssen danach fragen, welche Höchstleistungen ein Gesellschaftssystem mit »Auszeichnungen« quittiert.

In den außerökonomischen Bereichen ist es relativ einfach, durch Anerkennung und Tadel gegenüber bestimmten Höchstleistungen zu bewirken, daß der Mensch sich normenkonform gegenüber seiner sozialen Bezugsgruppe verhält. Gutes ist hier also möglich, sofern man es erkennt und als Gemeinschaft pflegt. In Angelegenheiten des individuellen Überlebens hat die moralische Kategorie allerdings ihre Wirkungsgrenze dort, wo der Druck der Existenz den Druck nach sozialer Anerkennung überschreitet. Die »Magenfrage« ist der Moral vorgelagert. Darum [S. 226] ist »soziales Verhalten« in Fragen der Existenz weit eher ein Resultat immanenter Systemlogik denn höherer ethischer Erwägungen.

„SPENCER sagt in seiner Ethik, man könne in einer unvollkommenen Gesellschaft keinen vollkommenen Menschen erwarten: ein Wort von tiefer Weisheit. Daraus ergibt sich, und SPENCER selbst zieht den Schluß, daß wir um so vollkommenere und um so mehr vollkommenere Persönlichkeiten erwarten dürfen, je mehr sich die Gesellschaft selbst vervollkommnet, d. h. je mehr sie die Schöpfung jener urtümlichen Gewalt aus sich ausstößt, die einst -gleich den Milchzähnen des Kindes -für ihre »Erziehung« unentbehrlich war, aber jetzt zu Hindernissen ihrer Weiterentfaltung geworden ist. Je mehr sie, durch Ausscheidung aller Privilegien und Monopole, wie das der alte Liberalismus forderte, sich von dem Zustande des »ordre positif« entfernt und dem des »ordre naturel« nähert, je mehr der »Staat« aufhört, Organisation des Klassennutzens zu sein, Organisation des gemeinen Nutzens wird -um so mehr kann der endlich wieder frei gewordene Mensch emporsteigen: weil kein »feindlicher Wettkampf« ihn mehr gegen den Nebenbuhler hetzt, sondern nur der »friedliche Wettbewerb« ihn zur höchsten Leistung spornt, und weil in den regelmäßigen Verhältnissen der Gesellschaft keine Versuchungen mehr gegeben sind, denen die normalen Regulationen nicht standhalten können; weil in der »Harmonie aller wirtschaftlicher Interessen« nicht mehr fast durchaus zwischen dem Eigeninteresse und dem Gesamtwohl gewählt werden muß; weil Niemand mehr reich genug ist, um Menschen kaufen zu können, und Niemand mehr arm genug, um sich verkaufen zu müssen. Das sind Hoffnungen, die von ZENON bis GOTTHOLD EPHRAIM LESSING und PROUDHON die Gläubigen des »Anarchismus«, der Herrschaftlosigkeit, der Genossenschaftsgesellschaft hegten, sind Träume der Edelsten, die auf viel tieferer Stufe doch schon einmal Wahrheit waren: in der »anarchistischen« Jägerhorde, in der freien Gesellschaft der Gleichen, wie sie uns die fünf Nationen der Irokesen, wie sie uns alle freien genossenschaftlichen Siedlungen zeigen.“[435]

 

Fußnoten
[372]
Der Begriff »reine Ökonomie« hat bei OPPENHEIMER eine ganz bestimmte Bedeutung, die nicht identisch ist mit dem Begriff CARL MENGERs, SCHUMPETERs oder anderer! Alles außer OPPENHEIMER findet man erklärt bei JOSEF BACK: Die Entwicklung der reinen Ökonomie zur nationalökonomischen Wissenschaft. Jena 1929.
[373]
FRANZ OPPENHEIMER: Das Kapital. Zitat vor der Auslassung S. 2, nach der Auslassung S. 4 f.
[374]
FRANZ OPPENHEIMER: Das Kapital, S. 365.
[375]
Eine interessante Vertiefung ergäbe ein Exkurs in die Reformpädagogik der FRIES'schen Schule, wie sie von LEONARD NELSON, MINNA SPECHT und anderen vertreten wurde. Für Pädagogen vertraute Projekt-Begriffe dürften in diesem Zusammenhang die »Odenwaldschule« und »Walkemühle in Dänemark« darstellen. Vgl. WIE VERNUNFT PRAKTISCH WERDEN KANN. Zur Aktualität des philosophischen Werkes von Leonard Nelson. Frankfurt a. M. 1987. BIRGIT S. NIELSEN: Erziehung zum Selbstvertrauen. Ein sozialistischer Schulversuch im dänischen Exil 1933 -1938. Wuppertal 1985.
[376]
FRANZ OPPENHEIMER: System IV, Geschichte, S. 1048.
[377]
Sekundär zitiert nach D. Grosser et al.: Soziale Marktwirtschaft. Geschichte -Konzeption -Deutung, Stuttgart 1988, S.3.
[378]
HORST FRIEDRICH WÜNSCHE: Welcher Marktwirtschaft gebührt das Beiwort »sozial«? In: Karl Hohmann u. a. (Hg.): Grundtexte zur Sozialen Marktwirtschaft, Bd. 2, Das Soziale in der Sozialen Marktwirtschaft, Stuttgart 1988, S. 21 -31, hier S. 22.
[379]
Fußnote im Zitat: „MAX SCHELER: Die Zukunft des Kapitalismus. In: MAX SCHELER, Vom Umsturz der Werte. Abhandlungen und Aufsätze, Bern 1972, S. 351 f.“
[380]
HORST FRIEDRICH WÜNSCHE: Welcher Marktwirtschaft ..., a.a.O, S. 22 f.
[381]
In der Arbeit von 1986 über LUDWIG ERHARD ist wohl ein Kapitel über OPPENHEIMER enthalten. Der gute Ansatz scheiterte m. E. allerdings daran, daß es zu diesem Zeitpunkt buchstäblich niemanden in Deutschland gab, der WÜNSCHEs ERHARD-Kenntnisse mit OPPENHEIMERs Theorie hätte konfrontieren können. So blieb der Alleingang WÜNSCHEs recht offensichtlich auf halbem Wege stecken. Immerhin! Vgl. HORST FRIEDRICH WÜNSCHE: Ludwig Erhards Gesellschafts-und Wirtschaftskonzeption. Stuttgart 1986.
[382]
FRANZ OPPENHEIMER: In: Die Volkswirtschaftslehre der Gegenwart ..., a.a.O., S. 109 f.
[383]
Die Kontroverse SCHUMPETER-OPPENHEIMER wurde im »Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik« geführt. SCHUMPETER greift in seinem Aufsatz „Das Grundprinzip der Verteilungstheorie“ [Bd. 42 1916/17, 1. Heft, S. 1 -88; ebenso in SCHUMPETER, Aufsätze zur ökonomischen Theorie, S. 320 -407] auf der Seite 24/25 OPPENHEIMERs Einbeziehung der »Machtverhältnisse« an, die für eine ökonomische Theorie weder Erklärungskraft besäßen noch dort hineingehörten. Die weitere Diskussion entwickelt sich in Bd. 44 und 47 der Zeitschrift und ist abgedruckt in FRANZ OPPENHEIMER: Wege zur Gemeinschaft, Gesammelte Reden und Aufsätze, Bd. 1, S. 411 -441 (Das Bodenmonopol). OPPENHEIMER (Das Kapital, 1938, S. 121) notierte, daß der Abdruck seiner Duplik auf SCHUMPETERs Replik jahrelang verzögert wurde, weil die Redaktion auf SCHUMPETERs Antwort vergeblich wartete.
[384]
Vgl. die erschöpfende Dissertation von WILFRIED SCHULTZ: Die Entwicklung der Diskussion um das Machtproblem innerhalb der Verteilungslehre in Deutschland seit Franz Oppenheimer. Köln 1966.
[385]
Niemand wird der Konzeption hoffentlich die Naivität eines auf Produktionsquantität ausgerichteten Verständnisses unterstellen. »Wohlstand« wurde von ADAM SMITH, OPPENHEIMER und ERHARD nie nach Produktions-und Konsummengen bemessen, wenngleich ein absoluter Mangel in bestimmten Zeiten wenig Raum für qualitative Fragen läßt. Doch muß unter »Wohlstand« in erster Linie die erarbeitete Möglichkeit einer wunschgemäßen Lebensgestaltung verstanden werden, was auch immer dies in bestimmten Zeiten bedeutet. Selbstverständlich ist auf diesem Wege auch die Realisierung ökologisch vollkommen neutraler Wirtschaftskreisläufe möglich, an die man erst in unserer Zeit denkt. Immer, auch unter diesem Leitbild, wird es dabei Arbeit zu organisieren gelten, und zwar bei ökologischer Rücksichtnahme mehr Arbeit als bei einem hingenommenen Raubbau an der Natur.
[386]
Siehe etwa die Zusammenfassung verschiedener Schätzungen bei Bernd KEIL und Peter STAHLECKER: Fortschritte in der personellen Vermögensverteilung? Über eine Revolution,die nicht stattfand. In: Ökonomie und Gesellschaft, Jahrbuch 2: Wohlfahrt und Gerechtigkeit, Frankfurt a. M. 1984, S. 200 -214, hier S. 212 f.
[387]
HORST MIERHEIM, LUTZ WICKE: Die personelle Vermögensverteilung. Tübingen 1978, S. 100.
[388]
GILBERTO GRANADOS, ERIK GURGSDIES: Lern-und Arbeitsbuch Ökonomie. Eine Einführung in die Probleme der westdeutschen Wirtschaftsentwicklung. 3. Aufl. Bonn 1985, S. 322. Die Angaben von KRELLE und SIEBKE sind tief in die Literatur eingegangen und gelten als Nachweis für eine mißlungene Politik der Sozialen Marktwirtschaft. Dem hielten ERHARD und MÜLLER-ARMACK entgegen: „... nach dem gleichen Gutachten KRELLEs und SIEBKEs besaßen die 1,7 v. H. reichsten Haushalte 1960 am Gesamtvermögen, d. h. an den Sparkonten, an Lebensversicherungsansprüchen, Wertpapieren, am Eigenkapital der Unternehmen und am Grundvermögen zusammengenommen einen Anteil von lediglich 35 v. H., der bis 1966 auf 31 v. H. gesunken war. (...) Wie ist nun der scheinbare Widerspruch zwischen der zunehmenden Konzentration des »Produktivvermögens« und der deutlich gleichmäßiger werdenden Verteilung des Gesamtvermögens zu erklären? Unter »Eigentum an gewerblichen Unternehmen« oder »Produktivvermögen« verstehen KRELLE und SIEBKE nur die Eigenkapitalanteile an gewerblichen Unternehmen. Dagegen rechnen sie das gesamte Grundvermögen, alle Sparkonten und festverzinslichen Wertpapiere nicht zum Produktivvermögen -alles Vermögensarten, die überwiegend den Arbeitnehmern gehören. Diese Begriffsbildung ist unüblich und irreführend. Als »Produktivvermögen« bezeichnet man in der Wirtschaftsstatistik im allgemeinen alles Sachvermögen der Unternehmen, gleich ob es durch Eigenkapital oder durch Kredite, also Fremdkapital, finanziert worden ist. An den Ansprüchen gegen dieses Produktivvermögen aber sind die Arbeitnehmer mit von Jahr zu Jahr wachsenden Anteilen beteiligt. Denn sie bilden Vermögen vornehmlich in Form von Sparkonten, Lebensversicherungsansprüchen usw. gegenüber Banken und Versicherungen, die die Ersparnisse der Arbeitnehmer als Kredite an die Unternehmen weitergeben. (...) d. h. mehr als die Hälfte des Produktivvermögens liegt heute wahrscheinlich schon in den Händen der Arbeitnehmer.“ LUDWIG ERHARD, ALFRED MÜLLER-ARMACK: Soziale Marktwirtschaft, Ordnung der Zukunft, Manifest '72, Frankfurt a. M. 1972, S. 93 f.
[389]
ROBERT K. VON WEIZSÄCKER: Demographischer Wandel, Staatshaushalt und Einkommensverteilung. In: Bernhard Felderer (Hg.): Einkommensverteilung und Bevölkerungsentwicklung. Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 187, Berlin 1989, S. 31 -84, hier S. 31.
[390]
Z. B. OTMAR N. SCHMITT: Staatsverschuldung, Einkommensverteilung und private Vermögensverteilung. Frankfurt a. M. 1984; Dissertation ohne empirisches Material. FRANZ HASLINGER: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. München 1990; Grundlagentext auf der Basis üblicher Einteilungen. ARTHUR WOLL: Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 10. Aufl., München 1992; Problem wie HASLINGER.
[391]
FRANZ OPPENHEIMER: Weder so -noch so. Der dritte Weg! Potsdam 1933.
[392]
»Der Rest bleibt gleich«; die mathematisch notwendige Standard-Illusion in den Wirtschaftswissenschaften. Interessanterweise wird sie aufrechterhalten, obwohl die seit 20 Jahren verfügbare Computertechnik eine Entwicklung realistischer Strömungsmodelle ermöglicht und die vorherrschenden Partialbetrachtungen längst ersetzen könnte. Siehe dazu auch Fußnote 17 auf Seite 29 dieser Arbeit.
[393]
Mit dem Begriff des »Gleichgewichtes« wird im streng mathematischen Sinne ein Ruhepunkt bezeichnet, auf den sich ein System verschiedener einwirkender Kräfte einstellt und damit nach außen statisch erscheint. Wenn man sich etwa auf eine Personenwaage stellt und das wirkende Eigengewicht der Federkraft der Waage entgegenwirkt, dann ist der Punkt der Ruhe, ab dem man die Veränderung des Federweges an einer Skala abliest, der Gleichgewichtspunkt dieses Meßvorganges. Jeder Mensch hätte bei einer Messung seinen persönlichen Gleichgewichtspunkt oder, da die Skala in der Maßeinheit »Kilo« genormt ist, »sein Gewicht«. Die Tatsache, daß sich x-beliebig viele Gleichgewichtspunkte in Kraftsystemen einstellen, ist also ohne jeden Aussagewert, außer zum Zwecke einer mathematischen Gleichung, durch die sich eine unbekannte Kraft bei Kenntnis der restlichen Größen herausrechnen läßt. Der Ökonom verwendet den Begriff des Gleichgewichtes hingegen weit seltener mathematisch als ideologisch. Er interpretiert in den Begriff hinein, was eigentlich gesucht wird, aber in dem Begriff nicht enthalten ist: die Ausgeglichenheit z. B. von Angebot und Nachfrage an einem konkret unbekannten Punkt, den es logisch irgendwo geben muß, den er deswegen auch als gegeben annehmen darf, dessen Gegebenheit letztlich aber auch trivial ist, weil es auf die qualitativen Begleitumstände des Zustandekommens ankommt und nicht auf die Tatsache der Existenz. So wie es für den Menschen einen großen Unterschied ausmacht, ob eine Waage 50 oder 100 Kg anzeigt, weil es eine Norm gibt, macht es für eine Gesellschaftswirtschaft einen großen Unterschied, ob sie eine kapitalistische Realität hervorbringt oder eine liberal-sozialistische. Daß es in diesem Punkte eine essentielle Unterscheidung marktwirtschaftlicher Systemeinstellungen zu treffen gilt, ist der bürgerlichen und marxistischen ökonomischen Lehre allerdings traditionell völlig fremd. Beide halten „eine Marktökonomie und eine kapitalistische Ökonomie grundsätzlich für ein und dasselbe“ (WINFRIED VOGT: Theorie der kapitalistischen und einer laboristischen Ökonomie, Frankfurt a. M. 1986, S.19), weswegen es ihnen m. E. auch völlig einerlei ist, was ein Skalenausschlag konkret aussagt. Weil es ein »dick« oder »dünn«, »zu viel« oder »zu wenig« als gesellschaftspolitisch reliable Norm in diesem Denken nicht gibt bzw. die Einstellbarkeit des marktwirtschaftlichen Systems unerkannt bleibt, wird auch nur registriert, wie sich Kreuzpunkte von Skalen nach allen Seiten hinverschieben. Heraus kommt eine unpolitische Wissenschaft einer politischen Ökonomie, die der politischen Praxis mit nichts begründet raten kann. Vgl. FRANZ OPPENHEIMER: Wissen und Werten. In: derselbe, Wege zur Gemeinschaft, München 1924, S. 1 -9.
[394]
FRANZ OPPENHEIMER: System IV, Geschichte, S. 1065.
[395]
FRANZ OPPENHEIMER: System II, Der Staat, S. 449 -460.
[396]
FRANZ OPPENHEIMER: Das Kapital, S. 227.
[397]
Vgl. FRANZ OPPENHEIMER: Das Kapital, S. 226.
[398]
Interessant wäre für uns nicht die Einkommens-und Vermögensverteilung der Gesamtbevölkerung, denn diese schwankt im Verlaufe eines Lebens so stark, daß alleine schon zwischen Lehrling (oder Student) und Abteilungsleiter bei einer Person »kapitalistische Klassenunterschiede« angezeigt würden (vgl. von WEIZSÄCKER: Demographischer Wandel ..., a.a.O., S. 32). Wichtig wäre vielmehr die Gewinnung einer Zahl, die die Klassengesellschaft oder Nicht-Klassengesellschaft zuverlässig anzeigt. Und dazu scheint mir eine Erhebung etwa unter den 55 bis 60jährigen als Schätzwert besonders geeignet zu sein, weil das Einkommen aus Erwerbstätigkeit in diesem Alter relativ zuverlässig für den Berufserfolg steht und der ererbbare Vermögensbesitz einerseits von den Eltern bereits erlangt, aber an die Kinder noch nicht weitergegeben sein dürfte.
[399]
FRANZ OPPENHEIMER: System II, Der Staat, S. 682.
[400]
FRANZ OPPENHEIMER: System II, Der Staat, S. 685.
[401]
ALEXANDER RÜSTOW: Wirtschaftspolitik und Moral. In: ders., Rede und Antwort, Ludwigsburg 1963, S. 9 -29, hier: S. 9.
[402]
Vgl. GUSTAVUS MYERS: Geschichte der großen amerikanischen Vermögen. Berlin 1916. Sowie MORUS: Wie sie groß und reich wurden. Berlin 1927.
[403]
„THOMAS MORUS: »Damit also ein einziger Prasser, unersättlich und wie ein wahrer Fluch seines Landes, ein paar tausend Morgen zusammenhängenden Ackerlandes mit einem einzigen Zaun umgeben kann, werden Pächter von Haus und Hof vertrieben; durch listige Ränke oder gewaltsame Unterdrückung macht man sie wehrlos oder bringt sie durch ermüdende Plackereien zum Verkauf. So oder so müssen die Unglücklichen auswandern. ... Ist das bißchen Erlös (der fahrenden Habe) auf der Wanderschaft verbraucht: was bleibt ihnen schließlich anderes übrig, als zu stehlen und sich hängen zu lassen (versteht sich von Rechts wegen), oder aber Landstreicher und Bettler zu werden, nur daß sie freilich auch dann als Vagabunden, die müßig umherstreichen, ins Gefängnis geworfen werden; und doch will kein Mensch ihre Dienste haben, sie mögen sich noch so eifrig anbieten«. (...) MARX berichtet im Anschluß an diese Sätze des MORUS, nach HOLLINGSHED, denn auch, daß allein unter der Regierung HEINRICHS VIII, nicht weniger als 72000 große und kleine Diebe hingerichtet wurden.“ FRANZ OPPENHEIMER: System II, Der Staat, S. 694. Im Original mit Quellenangaben.
[404]
Vgl. NIKLAS LUHMANN: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, Frankfurt a. M. 1989, S. 13 ff.
[405]
FRANZ OPPENHEIMER: System I, Soziologie, S. 996 f.
[406]
Andere Bestandteile sind Risikoprämie und Inflationssteuer. Da Liquidität bei langfristiger Planung und nie 100 % sicherem Geldmittel auch ein Problem sein kann, müßte man die »Liquiditätsaufgabe« gesondert diskutieren. Ebenso wird es situationsabhängig sein, auf welche Partei, Gläubiger oder Schuldner die Inflationssteuer abgewälzt werden kann.
[407]
Querverweis im Text auf den »Heroismus« der neueren bürgerlich-apologetischen Ökonomie, FRANZ OPPENHEIMER: System I, Soziologie, S. 760.
[408]
FRANZ OPPENHEIMER: System I, Soziologie, S. 996. Selbstzitat aus FRANZ OPPENHEIMER: Kapitalismus, Kommunismus, wissenschaftlicher Sozialismus, S. 37 f.
[409]
FRANZ OPPENHEIMER: Das Kapital. Zitat vor der Auslassung S.2, nach der Auslassung S.4 f.
[410]
Vgl. FRANZ OPPENHEIMER: System III, Theorie, S. 1021 ff.
[411]
FRANZ OPPENHEIMER: System II, Der Staat, S. 747.
[412]
FRANZ OPPENHEIMER: System II, Der Staat, S. 748.
[413]
FRANZ OPPENHEIMER: Das Kapital, S. 241.
[414]
FRANZ OPPENHEIMER: System II, Der Staat, S. 680.
[415]
Komplexes Produkt ist z. B. ein Pkw. HENRY FORD hatte seine Fabrik bereits so organisiert, daß umgerechnet ein Arbeiter binnen 14 Tagen ein Auto herstellte. Dies kann ein Individuum mit den Mitteln seiner Hauswirtschaft nicht leisten, sondern ist nur als Resultat eines arbeitsteiligen, komplex-integrierten Fertigungsprozesses denkbar.
[416]
WINFRIED VOGT: Theorie der kapitalistischen und einer laboristischen Ökonomie, Frankfurt a. M. 1986, S.43.
[417]
Zitiert nach HENRY FAUCHERRE: Die Genossenschaft. Ursprung, Wesen, Ideologie des Genossenschaftswesens, Basel 1947, S. 9.
[418]
Es gibt in Rechtssystemen auch immer wieder die Möglichkeit, Personen die Rechts-und Geschäftsfähigkeit abzusprechen. Dies ist beispielsweise gegenüber den Ureinwohnern Amerikas und anderen Kolonialisierungsgebieten regelmäßig geschehen sowie historisch in Europa gegenüber den verheirateten Frauen. Beide Fälle gehen einher mit Formen polit-ökonomischer Ausbeutung.
[419]
Vgl. ADAM SMITH: Eine Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Reichtums der Nationen, a. a. O., Band I, Kapitel VIII, »Von den Arbeitslöhnen«: „Welches die üblichen Arbeitslöhne sind, hängt überall von dem Vertrag ab, welcher zwischen jenen beiden Parteien geschlossen wird, deren Interessen unter keinen Umständen dieselben sind. Die Arbeiter wollen soviel wie möglich nehmen, die Unternehmer sowenig wie möglich geben. Die ersteren sind geneigt, sich zu vereinigen, um die Arbeitslöhne zu steigern, die letzteren, um sie zu senken. Es ist indes nicht schwer vorauszusehen, welche der beiden Parteien unter normalen Verhältnissen bei dieser Kontroverse das Übergewicht besitzen muß und die andere zur Erfüllung ihrer Bedingungen zwingt. Da die Unternehmer nicht so zahlreich sind, können sie sich viel leichter zusammenschließen, und außerdem werden ihre Vereinigungen gesetzlich gebilligt oder zumindest nicht verboten, wie die der Arbeiter. Wir haben keine Parlamentsakte gegen Bündnisse zur Herabsetzung des Preises der Arbeit, aber viele, die gegen Bündnisse zu dessen Erhöhung gerichtet sind.“ S. 86 f. Eine auch im weiteren Verlauf überaus aufschlußreiche Textstelle.
[420]
Natürlich gibt es in Arbeitsverträgen keine Maßzahl »Glück«, und die verursachten Beeinträchtigungen werden in vielen Unternehmen nicht ordentlich entlohnt, sondern unordentlich abgepreßt. Je ungünstiger die Situation auf dem Arbeitsmarkt für den abhängig Beschäftigten ist, desto härter werden meist die Bedingungen in den Betrieben. Aber: kein Arbeitnehmer ist so naiv und würde seine eigene Rolle als »frei zustandegekommen« auffassen, wie dies die Wissenschaft annimmt. Es gibt in unserer Gesellschaftswirtschaft keine Alternative, auf die sich so einfach ausweichen ließe.
[421]
FRANZ OPPENHEIMER: Das Kapital, S. 22.
[422]
VOLKER KRUSE: Zwischen »Kapitalismus« und »liberalem Sozialismus«. Die westliche Nachkriegsgesellschaft im Lichte der Kategorien Franz Oppenheimers. Ein theoretisches Experiment. In: Geschichte und Gegenwart, 11. Jg., Heft 1/1992, S. 19 -43.
[423]
NUTZINGER weist treffend darauf hin, daß der Genossenschaftskomplex von Mondragón in der Praxis den kapitalistischen „»Kauf und Verkauf der Ware Arbeitskraft« durch einen nach festgesetzten Regeln verlaufenden -»Kauf und Verkauf der Ware Arbeitsplatz« ersetzt“ hat. Es wird uns aus der Perspektive »Ware Arbeitsplatz« nicht nur ein gänzlich anderes Marktgeschehen offensichtlich, sondern erscheint endlich wieder als Objekt was Objekt ist und als handelndes Subjekt, was Subjekt (nach Aufhebung der Sklaverei) sein sollte. HANS G. NUTZINGER: Die Überlebensfähigkeit von Produktivgenossenschaften und selbstverwalteten Betrieben. In: Achim von Loesch, Selbstverwaltete Betriebe. Neue genossenschaftliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen? Überblick und Beurteilung. Beiheft 10 der Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, 1988, S. 35 -58, hier S. 56.
[424]
Der Bodensee hat nach Bertelsmann-Lexikon eine Fläche von 539.000.000 qm und die Weltbevölkerung umfaßte 5.300.000.000 Menschen im Jahr 1990. Rechnet man mit ca. ¼ Kindern und legt nicht die überdurchschnittliche Größe des Europäers zugrunde, könnte evtl. auch noch die gesamte Menschheit auf die einfache Fläche des Bodensees passen.
[425]
ALEXANDER RÜSTOW: Ortsbestimmung der Gegenwart, a.a.O., S.160. Folgende Nebenbemerkung an dieser Stelle: RÜSTOW war derjenige, der ERHARD dem Ordoliberalismus zuführte, indem er ERHARD noch während des Krieges in einen kleinen Kreis Gelehrter aufnahm, die nach dem Kriege als Ordoliberale auftraten. Das Eintrittsbillet ERHARDs war bei dem überaus kritischen RÜSTOW der Umstand, daß ERHARD von OPPENHEIMER kam, den RÜSTOW sehr verehrte. Nachzulesen in LUDWIG ERHARD: Kriegsfinanzierung und Schuldenkonsolidierung, Faksimiledruck der Denkschrift von 1943/44, Frankfurt a. M. 1977. Dort die Vorbemerkung von THEODOR ESCHENBURG, S. XVI.
[426]
Querverweis im Zitat: FRANZ OPPENHEIMER: System III, Theorie, S. 1120.
[427]
FRANZ OPPENHEIMER: System II, Der Staat, S. 789.
[428]
Querverweis im Zitat: FRANZ OPPENHEIMER: System III, Theorie, S. 948 ff.
[429]
FRANZ OPPENHEIMER: System IV, Geschichte, S. 1042. „Wenn die Preise ihres Produktes sinken, schränken die Unternehmer der reinen Ökonomie ihre Produktion sofort ein, die der kapitalistischen aber dehnen sie aus! Das ist nämlich für den kapitalistischen Unternehmer die einzige Möglichkeit, seinen »Gesamtprofit« auf der Höhe zu halten; sinkt der Einzelprofit an der Wareneinheit, so strebt er danach, mehr zu verkaufen, auf die Gefahr hin, seinen Markt noch mehr zu verschlechtern. Er kann unter freier Konkurrenz nicht anders handeln, denn er weiß seine Konkurrenten ebenso motiviert, und muß, wenn er seine Produktion einschränkt, gegenwärtigen, daß er weniger Waren-Einheiten zu geringerem Preise absetzt, daß also sein Gesamtprofit sehr empfindlich, vielleicht verderblich einschrumpft. Es bleibt ihm also nichts anderes übrig; es steht psychologisch geradezu unter dem Zwang, auch bei sinkenden Preisen seine Produktion auszudehnen; es ist das sein »kleinstes Mittel«. Der Unsinn wird unter solchen Umständen Sinn: eine »Antinomie« des Kapitalismus, die deutlich zeigt, daß diese ganze »Ordnung« Unordnung, Normwidrigkeit ist. Denn natürlich kann sich die auf die Länge unbedingt notwendige Konkordanz zwischen Produktion und Preisstand nicht anders als unter krampfhaften »kritischen« Zuckungen durchsetzen.“ FRANZ OPPENHEIMER: Normalität und Krise. In: Archiv für Rechtsund Wirtschaftsphilosophie, Bd. 5, Berlin 1911/12, S. 144 -161, hier S. 152. Siehe auch zur Psychologie der Verkäufer auf S. 146 dieser Arbeit.
[430]
JOSEF SCHUMPETER: Über das Wesen der Wirtschaftskrisen. In: Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, Bd. 19, 1910, S. 271 -325.
[431]
„Tatsachen sind immer nur der Ausgangspunkt wissenschaftlicher Betrachtung. Wissenschaft besteht darin, sie zu erklären, das heißt unter ihr Gesetz zu ordnen. Und ein richtig deduziertes, und das will sagen: aus wahren Prämissen in logisch richtigen Schlüssen abgeleitetes Gesetz muß mit den Tatsachen übereinstimmen.“ FRANZ OPPENHEIMER: Das Goltz'sche Gesetz. In: Schmollers Jahrbücher für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, Bd. 56, 1932, S. 535 -554, hier 535.
[432]
Die Schwierigkeit liegt in der Definition. Der die Werkgüter befehligende Unternehmer ist heutzutage nicht unbedingt der größte Profiteur. Vielmehr unterliegt die »Beuteteilung« weiteren Faktoren (siehe Seite 101 dieser Arbeit), so daß eine umfassendere Abhängigkeitsanalyse einsetzen müßte.
[433]
Es ist bezeichnend, daß immer wieder Ärzte unter den Ökonomen in Kreislauf-und Ausgleichskategorien dachten. Die Idee des Wirtschaftskreislaufes geht zurück auf den Leibarzt von LUDWIG XV, FRANCIOS QUESNAY. Im Prinzip wurde seine Idee aufgegriffen und findet sich in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wieder. Die dort eröffneten Kategorien bzw. gesetzten Definitionen, mit denen »Gesellschaftswirtschaft« abzubilden versucht wird, mochten mir allerdings noch nie einleuchten. Die Trennung von Haushalten und Unternehmen als Grundeinheit etwa ist ein ideologiegeprägtes Spiegelbild der kapitalistischen Ökonomie, während real jeder Mensch ein Güter verzehrender Marktteilnehmer ist und zum Zwecke des Erwerbes seines Bedarfs Tauschwerte in den Markt zu bringen (= produzieren) wünscht. Ein taugliches Kreislaufmodell muß die Bedingungen erfassen, unter denen die tatsächlichen Elementareinheiten des Systems, nämlich die Menschen, ihre Erstellungs- und Verbrauchswünsche über den Markt abwickeln können. Die Existenz von Unternehmen hat dagegen keinen anderen Informationsgehalt als eben jene Kooperationsform anzuzeigen, über die sich die Herstellung bestimmter Güter idealerweise organisieren läßt. Einfache Güter können vom Einzelproduzenten erstellt werden, und komplexe Güter (siehe S. 299 dieser Arbeit) erfordern den arbeitsteiligen Prozeß: die Großunternehmung. Betrachtet man die Ideologie hinter den herrschenden Modellen, dann steht dortnicht viel mehr als der krampfhafte Versuch, die Existenz und Wirkung kriseninduzierender Akkumulationsprozesse wegzudefinieren. So erscheinen die Schuldner und Gläubiger, Arbeitnehmer und Arbeitgeber nach dem ideologischen Kunstgriff einträchtig als »Haushalte«, die den »Unternehmen« die Elementarfaktoren »Arbeit« und »Kapital« zur Verfügung stellen und von den Unternehmen »Leistungen« als Lohn empfangen. Tatsächlich ist die Unternehmung ein Ort der Kooperation, der mal herrschaftlich und mal genossenschaftlich konstruiert ist. Sie steht mal für die Klassenscheidung und den Ansatzpunkt zur Kapitalakkumulation oder im Falle der Genossenschaft für einen angestrebten inneren Ausgleich. Nur insofern ist die Unternehmung kreislauftheoretisch interessant, wie sie mal Instrument klassenspezifischer Akkumulation und mal Instrument einer Deakkumulation ist, indem sie (speziell als Genossenschaft) Marktzugänge sichert und Erträge klassenunspezifisch teilt.
[434]
LUDWIG ERHARD: Wohlstand für alle, Düsseldorf 1957, 138 ff.
[435]
FRANZ OPPENHEIMER: System I, Soziologie, S. 1113.