III. Die Genossenschaft als Einrichtung privater Volkswirtschaftspolitik

Kurzdarstellung der Genossenschaftsarten im einzelnen

Die Genossenschaft gründet als wirtschaftender Verband auf der Bestrebung, durch die Organisation des zur »Herden-« oder Gruppenbildung fähigen Menschen einen neuen Typus der Bedrohung zu bewältigen: die Gefahr des Verlustes bzw. Nicht-Erreichens einer gesicherten Existenzgrundlage innerhalb der kapitalistischen Ökonomie.

Das Problem einer gegenwartsbezogenen Genossenschaftsbeurteilung berührt somit

1) die Ebene der »kapitalistischen Ökonomie«. Diese Ebene benennt den Angreifer bzw. die Quelle der Bedrohungen: Klassengegensätze, Machtasymmetrie, Klassenjustiz, Wirtschaftsmonopole oder einfach dauerhaft bestehende, sich nicht selbsttätig beseitigende Mangellagen. Hiermit kommt einher

2) der Personenkreis, bei dem sich ein objektiv-ökonomischer Handlungsdruck feststellen läßt. Ihre gleiche soziale Stellung innerhalb der Gesellschaft und die gleiche Problemlage lassen Menschen ähnliche Einstellungen herausbilden (sozialpsychologischer Determinismus), die sich als »politische« Einstellung oder »Gruppeninteresse« formieren. Das Gruppeninteresse formiert sich zu einer gesellschaftlich relevanten Kraft in dem Maße, wie sich das Set der Existenzbedrohungen gleicht. Ein Wohnungssuchender ist mit einem Arbeitsuchenden oder Kreditsuchenden nicht unbedingt solidarisch; sind alle Personen einer Klasse gleichermaßen in der Sicherheit ihrer Wohnung, Arbeits-und Kreditmöglichkeit bedroht, ist Solidarität wahrscheinlicher. In dem Maße, wie die scharfen Klassengegensätze durch Umverteilungsmaßnahmen des Staates oder Teilerfolge einer Sozialen Marktwirtschaft gemildert werden, entsolidarisieren sich die Gesellschaftsmitglieder entsprechend ihrer heterogen auseinanderdriftenden Problemlagen, die nicht mehr als typische Klassenlagen auftreten. Es schwindet die politisch-solidarisierende Dimension des Sozialmechanismus, während die ökonomischen Problemstellungen (Machtasymmetrie, Wirtschaftsmonopole) durchaus verdeckt fortbestehen können. Wir müssen deswegen bei unserer Untersuchung des Genossenschaftswesens unterscheiden nach

a) der objektiv-ökonomischen Struktur und
b) der subjektiv-solidarischen Aktionsfähigkeit.

Die Genossenschaft ließe sich nun von der Seite ihrer Entstehung und ihrer Wirkung aus theoretisch vertieft betrachten, wobei die Makrostruktur der gesellschaftlichen [S. 228] Verhältnisse und die Mikrostruktur ihrer psychischen Verarbeitung durch den Menschen zu einer Entstehungstheorie führen würde, während die Wirkungstheorie von der zustande gekommenen Genossenschaft ausgehend die Veränderung der Verhältnisse und der psychischen Dispositionen aufzuzeigen hätte.

Entstehung

Der dabei zum Tragen kommende Funktions-Begriff wäre Ausdruck der wechselseitigen Beeinflussung in einem Bewegungs-Modell. In diesem Modell bezeichnen die Verhältnisse das Zwischenstadium menschlicher Entwicklungsgeschichte, der Mensch mit seinen feineren Empfindungen ist Motor der Bewegung, und die Genossenschaft ist ihm Methode bzw. Ort des organisierten Eingriffs vom Kleinen ins Große.

In den vorangegangenen Teilen I und II der Arbeit wurde die Ebene der »kapitalistischen Ökonomie« thematisiert. Von dieser Seite her müßte somit geklärt sein, aus welchen Makrostrukturen heraus dauerhaft bestehende, sich nicht selbsttätig beseitigende Mangellagen entstehen. Hier gehen wir nun ins Detail und betrachten spezielle Gütergruppen und ihre Teilmärkte. Arbeitsplätze, Verbrauchsgüter, Wohnraum, Geld und Versicherung sind für den Gegenwartsmenschen liebgewordene Kulturstandards. Wenn ihre Beschaffung und Qualität nicht gewährleistet ist bzw. mit angemessenem Aufwand besorgt werden kann, wird dies von den meisten Menschen als Mangel empfunden. Wenn sich innerhalb einer Gesellschaft gleich größere Gruppen unterversorgt sehen, beginnen wir die Frage nach »systematischen Fehlern« oder »Systemfehlern« zu stellen. Dieser Fehlertypus muß von den persönlich zurechenbaren Fehlern betroffener Menschen abgegrenzt werden, wenn ein bestimmter Prozentsatz der Unterversorgung (Grad des Mangels) theoretisch einwandfrei durch makroökonomische Argumente erklärt werden kann, der Mangelgrad also als konstant und unabhängig von Eigenschaften konkret betroffener Menschen anzusehen ist[436].

[S. 229] Unter »Kapitalismus« wird in dieser Arbeit eine geschichtliche Epoche verstanden, deren gesellschaftswirtschaftliche Ordnung durch die Interessen einer nach Mehrwertaneignung strebenden Klasse exklusiver Kapitalbesitzer gekennzeichnet ist (↑ 95). Gleichzeitig ist diese Klasse exklusiver Kapitalbesitzer nicht nur in den staatlichen Organen mit ihren offiziell bekannten Interessenvertretern präsent, sondern der Ursprung des Staates beruht, gemäß der soziologischen Staatsidee von GUMPLOWICZ und OPPENHEIMER, selber auf einer auf Dauer angelegten Regelung der Ausbeutung zwischen Eroberern und Unterworfenen. Davon mag man heute nur noch wenig spüren, und dennoch sind die Ausbeutungsregeln als Sittengesetze oder gar positives Recht Teil unserer »modernen« Ordnung geworden[437]. Etwa würden wir den im Arbeits-und Vertragsrecht verankerten Pflichtenkatalog abhängig Beschäftigter heute gar nicht kennen, wenn es im Anschluß an die Scheidung Freier und Unterworfener nicht das Problem der geregelten Leistungserzwingung der Herren gegeben hätte. Ein Vertrag zwischen Freien, so sollte man meinen, regelt die bestellte Leistung und deren Preis. Dagegen muß der Sklavenherr sein Besitz-und Verfügungsrecht absichern, denn nur so kann er den Sklaven bewirtschaften wie eine Kuh oder andere Gegenstände, die ihm seinen Lebensstandard verfeinern. Man verfolge nur einmal exemplarisch die Wurzel und Entwicklung einer tragenden Rechtskonstruktion unserer Zeit (Grundeigentum, Arbeitsordnung, Hoheitsrechte des Staates) und wird dabei überrascht feststellen, daß die gefundenen Regelungen ursprünglich der Absicherung herrschaftlicher Interessen dienten, denen wir mit unserer modernen Verfassung eigentlich keinen Vorschub leisten wollen. Doch der Mensch gewöhnt sich schnell an vieles und baut sich aus aktuellen Erfahrungen ein Bild von der »Normalität« zusammen, das ihm als »ewig gültiges« gilt. Jede gedachte Alternative würde dagegen eine theoretische Abstraktionsleistung erfordern, die sich weniger aufdrängt als die »Realität« des Alltags. Daß in einer Demokratie Mehrheiten eines Volkes, eines Staatsapparates oder auch nur eines Parlamentes solche Abstraktionen gleichermaßen vornehmen, ist unwahrscheinlich. Das aber hieße, die Makrostruktur von Staat und Gesellschaft ist in zentralen Fragen unbeweglich, weil sich Mehrheiten (Massen) mit ihrer Vorstellung nicht von Gegenwärtigem lösen können. (Die Aussage OPPENHEIMERs, wonach der Kommunismus eine einfache Negation des Kapitalismus darstelle, bestätigt die behauptete Regel.)

Doch wäre es ein trauriges Ergebnis, wenn wir von diesem Strukturproblem auf eine irreparable Leistungsschwäche der Demokratie schließen müßten. Ganz so ist es zum Glück nicht, wenngleich es festzustellen gilt, daß sich die großen Einheiten nicht am eigenen Schopfe aus dem Sumpf ziehen können (↑ 69). Das Innovationspotential [S. 230] jeder Großstruktur liegt nicht in ihrer Einheit, sondern in dem Wettbewerb ihrer »Vielheit«[438]. Auf dieser Skala zwischen Einheit und Vielheit muß das Optimum nötiger Bewegung und gebotener Sparsamkeit des Mitteleinsatzes gefunden werden. Statt des einen Weges wäre auch eine Vielfalt von 1000 Wegen zumindest in größeren Organisationszusammenhängen lähmend. Aber zwei oder drei Hauptströmungen verträgt jede Fragestellung oder Organisationsanforderung allemal. Mit anderen Worten: der auf Reformen bedachte Demokrat müßte nicht unbedingt mit den Herrschaftsmitteln des Staates die Herrschaft abschaffen, sondern nur dafür sorgen, daß sich zwei oder drei Modellansätze mit gegenläufigen Implikationen durchführen lassen. Die Erneuerung der Gesellschaft würde dann nicht eigentlich durch das Gesetz erfolgen, sondern durch die verändernde Wirkung der gegenläufigen Modelle[439] .

Das ist zugegebenermaßen in der Darstellung recht abstrakt gehalten. Doch bietet die Genossenschaft bezüglich der Großstruktur »Gesellschaftswirtschaft« und »Staat« eine konkrete Anwendung, wenn man sich nur dazu durchringen kann, die Genossenschaft nicht bis zur Unkenntlichkeit an nichtgenossenschaftliche Unternehmensformen anzupassen, also die Kraft der Verschiedenheit betont. Dann allerdings besteht die Chance, daß sich die Genossenschaft als bessere Form erweisen könnte. Es mit Gewißheit zu behaupten, wäre verwegen und wenig hilfreich. Aber es gibt gute Gründe, warum eine Gruppe von Menschen diese Möglichkeit sieht. Aus bestimmter Sicht hängt an der Genossenschaftsfrage die Gestaltungsfähigkeit von Gesellschaft und damit unserer Zukunft, nicht weil die entwickelten Alternativen unbedingt »Genossenschaft« heißen müßten, sondern ihrem Wesen nach Genossenschaften wären[440]. Aber selbst wenn sich im praktischen Experiment nicht alle Hoffnungen bestätigen und nur einige nützliche Teilaspekte dabei entdeckt werden, warum darauf verzichten?

Billigen wir uns als Zwischenergebnis zu, daß es Mangellagen gibt, unter denen Mehrheiten leiden und von denen Minderheiten profitieren. Denken wir uns zweitens, daß die profitierenden Minderheiten in Staat und Wirtschaft von größerem [S. 231] Einfluß sind als der leidende Teil. Die Konsequenz wäre, daß nur eine dezentral ansetzende Bürgerbewegung als Alternative übrig bliebe, eine Organisationsform also, die weder Staat noch ausschließendes (exklusives) Kapital verkörpert. Diese Bewegung muß aber nicht erst erfunden werden; es gab sie einst in der Form der nicht-bürgerlichen oder liberal-sozialistischen Genossenschaftsbewegung. Wenn heutige Genossenschaften besonders große Probleme damit haben, mit sozialistischem Gedankengut in Verbindung gebracht zu werden, dann kann man dafür angesichts der verunglückten Geschichte des Begriffes im »realen Sozialismus« Verständnis aufbringen. Doch verbarg sich hinter dem Begriff einst nichts anderes als »der Glaube an und das Streben auf eine von allem Mehrwert, d.h. allem arbeitslosen Einkommen erlöste, darum klassenlose und darum brüderlich geeinte Gesellschaft der Freien und Gleichen« (↑ 96). Wenn die Genossenschaft aber geeignet ist, das gesellschaftliche Ganze diesem Ziel ein Stück näher zu rücken, dann müssen sich ihre Mitglieder dessen wahrlich nicht schämen. Nur darum geht und ging es den Sozialreformern schon immer: die Frage, ob und wie die Konstruktion »Genossenschaft« bessere Realitäten erzeugen kann als die gegenwärtig vorherrschenden.

„Um nun zu den Mitteln der privaten Volkswirtschaftspolitik zu kommen, so werden hier in der Regel die Individuen, wenn sie nicht ungeheuer reich sind, -Bourneville, Sunlight-City, ihren Bewohnern geschenkt, sind solche Beispiele -nur im kleinen Kreise eine bescheidene Wirksamkeit ausüben können. Hier kann zumeist nur die Assoziation vieler im gemeinen Nutzen Kraftzentren schaffen, die im großen Kreise und im großen Stile wirken können. Auch hier können wir unmittelbare und mittelbare Maßnahmen unterscheiden.

Unmittelbar wirken zumeist die Organisationen der Selbsthilfe. Soweit sie lediglich für ihre Mitglieder tätig sind, wie die Erwerbs-und Wirtschaftsgenossenschaften und die Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit, stehen sie noch mit einem Fuß im Lager der Privatwirtschaft; soweit sie aber ohne harte Bedingungen jedem offen stehen, der dem Kreise angehört, soweit sie dadurch die wirtschaftliche Lage ganzer Gruppen und Klassen zu heben imstande sind, sind sie Organe der privaten Volkswirtschaftspolitik. Das aber gilt für die meisten Genossenschaften und für die Gewerkschaften der Arbeiter.

Ganz und gar Organe der privaten Volkswirtschaftspolitik sind die Anstalten der Fremdhilfe. AIMÉ HUBERs »aristokratische Hilfe« bildet den Übergang, die schon einmal erwähnte Unterstützung der Selbsthilfe durch Rat, Mitarbeit und eventuell Darlehen; gleichfalls einen Übergang bilden die Versuche der französischen Produktivassoziationen, ein capital social inaliénable, ein Gesellschaftskapital für die Verbreitung ihrer Genossenschaften aufzubringen. Reine Fremdhilfe stellen die zahlreichen Organisationen für die gemeinnützig-wirtschaftlichen Zwecke der Arbeitsnachweise, der Armenversorgung, der Wohnungsfürsorge, z. B. Gartenstädte und Gartenvorstädte, dar; ferner z. B. die Vereine zur Beschäftigung Blinder mit lohnender Arbeit. All das ist unmittelbare private Volkswirtschaftspolitik.“[441]

[S. 232] In dem vorliegenden Teil III der Arbeit wird nun weiter nach dem auf der mikroökonomischen Ebene theoretisch Möglichen und Machbaren geforscht. Es ist dabei nicht mein Ziel, die mannigfach vorhandenen Geschichtsschreibungen des Genossenschaftswesens um einen weiteren Text zu ergänzen, sondern das empirisch nicht Vorhandene (aber Mögliche) zu sehen. Wir denken uns im Sinne OPPENHEIMERs, daß es neben dem, was ist, ein aus der theoretischen Ökonomik und Ethik ableitbares »Sollen« gibt, das sich den Realitäten anregend gegenüberstellen läßt[442].

3.1. Die Wohnungsbau-und Wohnraumverwaltungsgenossenschaften[443]

Ohne Wohnung ist eine bürgerlich geordnete Existenz heute ebensowenig realisierbar wie eine körperliche Existenz ohne Nahrung, eine intellektuelle Existenz ohne Bildung oder eine seelisch-emotionale Existenz ohne menschliche Bindungen. Es wird daher immer wieder diskutiert, ein »Recht auf Wohnen« vom Gesetzgeber her zu garantieren, zumal dieses Elementarbedürfnis nur abgedeckt werden kann, wenn das überindividuelle Räderwerk der Gesellschaftswirtschaft funktioniert. Mit etwa dem gleichen Argument wird aber auch die Verankerung eines Grundrechtes auf Wohnen abgelehnt, weil die Wirkung des marktvermittelten Selbstregulierungsmechanismus durch Intervention des Gesetzgebers beeinträchtigt würde. Es läßt sich feststellen, daß das Ziel einer hinreichenden Wohnungsversorgung normativ zumindest in der öffentlichen Diskussion außer Frage steht, die Methode der Herbeiführung dagegen schon[444].

Ich möchte in diesem Abschnitt noch einmal kurz die historische Dimension des Problems anschneiden, obwohl es hierzu an anschaulichen Arbeiten nicht mangelt[445]. Der Rückblick wird zeigen, daß der subjektive Leidensdruck der betroffenen Menschen in der Periode 1890 -1930 ungleich höher stand als gegenwärtig, so daß sich hinter dem Begriff der »Wohnungsnot« einerseits ein breites Qualitätsspektrum der Mangellagen verbirgt, angefangen von seuchenmedizinisch bedenklichen Zuständen bis hin zu einem Mangel bei allgemein gehobenem Wohnniveau.

[S. 233] So verschieden die Verhältnisse auch erscheinen, läßt sich »Wohnungsnot« darin allerdings dennoch auf einen gemeinsamen Nenner bringen:

-Es findet ein »drop-out« der einkommensschwachen Bevölkerung statt[446], die bei einem allgemeinen Mangel aufgrund der eintretenden Abwärtsverdrängung mit überproportionalen Mietpreissteigerungen ihrer schichtspezifischen Wohnsubstanz »büßt« (sie bewegt sich auf einem »Markt des letzten Kampfes«, weil es darunter nur noch »die Straße« gibt).

-Der Mechanismus des Wohnungsmarktes zeigt sich unter kapitalistischer Randbedingung von einer anderen Seite als bei kurzlebigen Konsumgütern und freiem Wettbewerb; es werden nicht »alle Menschen als Produzenten« und »alle Menschen als Konsumenten« über die Preissignale »wie von unsichtbarer Hand« zusammengeführt. Mieter und Wohnraumbesitzer bilden statt dessen ebenso wie abhängig Beschäftigte und Arbeitsplatzbesitzer (= Unternehmer[447]), Kreditnehmer und Geldbesitzer etc. gesellschaftliche Klassen unterschiedlicher Interessenlagen. Wo aber nicht die Marktvermittlung unter Gleichberechtigten das Thema bestimmt, sondern die Interessen zweier unterschiedlich mit Besitzvermögen und somit Handlungsmöglichkeiten ausgestatteter Klassen aufeinandertreffen, da wird dauerhafte Knappheit zum (preistreibenden) Motiv.

Der historischen Betrachtung wird eine theoretische folgen, die das Phänomen der »Wohnungsnot« bzw. des »Marktversagens[448]« auf ein Denkmodell konzentriert. Parallel und abschließend wird die praktische Einsatzfähigkeit der Genossenschaft im Wohnungssektor behandelt.

3.1.1. Wohnungsnot und Selbsthilfe in der Geschichte

Wir haben unter Punkt 1.1.1. der Arbeit (↑ 56) bereits Schilderungen der Wohnsituation Wuppertals kennengelernt. Nicht viel anders standen die Verhältnisse anderenortes über Generationen hinweg. Eine Studie von BRUNO SCHWAN bekundet nach über 30jähriger Tätigkeit des Deutschen Vereins für Wohnungsreform eine Mangelsituation, die im Jahre 1927 ca. 5 Mio. Menschen in Deutschland praktisch »Wohnungslosigkeit« bescheinigt, selbst wenn die Menschen in baufälligen Unterkünften [S. 234] ein Behelfslager fanden[449]. »Wohnungselend« hieß damals: Fehlen eines privaten Raumes, fremde Personen in gemeinsamen Betten, Verbreitung tödlicher Krankheiten und massenhafter sexueller Mißbrauch der in diesen Verhältnissen aufwachsenden Kinder[450]. Die Studie enthält ferner viele vor Ort erhobene Fälle. Daraus hier zwei nicht-großstädtische.

Niederhermsdorf: „Landgemeinde von rund 12.000 Einwohnern, 90 -100 Wohnungslose. In der Mittelstraße 12 hausen 7 Personen in einer Stube. Das Ehepaar schläft mit dem 13jährigen Sohn zusammen in einem Bett. Im zweiten Bett schlafen 2 Mädchen von 19 und 9 Jahren. Auf der Chaiselongue schläft ein 14jähriger Junge. Der 23jährige Sohn schlägt sein Nachtlager auf der Erde auf. Die Wohnung liegt über dem Schlachthaus und den Aborten. Die Ausdünstungen ziehen durch die Dielen. 24 Familien -Menschen aller Altersstufen -kampieren in diesem stark verfallenen Hause, gequält von Nässe, Modergeruch, Finsternis und von Ratten, Mäusen und anderem Ungeziefer.“[451]

Weißstein: „Landgemeinde von 17.000 Einwohnern. Hauptstraße 186. Ein völlig verfallenes Haus. Von 7 Familien bewohnt. Die Gemeinde bemüht sich, das Haus zu räumen; vermochte bis jetzt aber nur 2 Familien andernorts unterzubringen. Das Haus droht zusammenzustürzen. Die Dachbalken sind durch Trockenfäule völlig zermürbt, das Holz läßt sich zwischen den Fingern zu Mehl zerreiben. Die Stubendecken hängen bauchig und sacken in der Mitte tief herunter. Bei einem Schritt in den Bodenraum brach der Fuß ein. In einer erst vor 6 Wochen geräumten Stube völlig verfaulte Dielen. Die Menschen hatten zuletzt auf dem Sandboden gehaust -das Haus ist nicht unterkellert. Die Mauern zerbröckeln, die Holzteile zerfallen in Mehl. Noch »wohnen« hier 5 Familien! Da Keller nicht vorhanden sind, lagern auch die Winterkartoffeln in den dichtbelegten, nassen Räumen. Die Bewohner sind Bergleute, zum Teil noch junge Ehepaare mit kleinen Kindern. So haust in der oberen Stube ein Bergmann mit seiner Frau, die hochschwanger ist, und 2 Kinder von 13 und 8 Jahren. Im Erdgeschoß wohnen in 2 völlig verfallenen Räumen ohne Dielen 13 Menschen.“[452]

[S. 235] Als wesentliches Kennzeichen des 19. Jahrhunderts benennt die Studie den absoluten Bevölkerungszuwachs und den überproportionalen der Städte. Dazu werden zwei erläuternde Tabellen angeführt:

Bevölkerungsdichte pro Quadratkilometer:

1820 1840 1860 1880 1890 1900
Deutschland 49 61 70 84 91 104
Frankreich 57 63 68 71 71 72
Italien 65 81 91 95 105 113
England 80 105 133 171 192 215

Einwohner in Tausend[453]:

London 1801 = 595 1851 = 2362 1875 = 3445 1891 = 4252 1901 = 4557
Paris 1800 = 548 1861 = 1696 1881 = 2240 1891 = 2448 1906 = 2732
Berlin 1801 = 173 1849 = 454 1871 = 826 1890 = 1578 1900 = 1880

Während sich die Bevölkerung Deutschlands binnen eines Jahrhunderts in etwa verdoppelte, verzehnfachte sich die Zahl der Wohnungssuchenden in Berlin. Neben allen notwendigen Bautätigkeiten aus Gründen der Substanzerhaltung, hätte es eigentlich einer beständigen Neubautätigkeit bedurft, um die Neubürger mit qualitativ akzeptablem Wohnraum auszustatten. Das Volumen der Bautätigkeit orientierte sich statt dessen nicht an der wachsenden Zahl Wohnungssuchender, und die wachsende Zahl der Neubürger orientierte sich nicht an dem verfügbaren Wohnraum. Vielmehr teilten sich die Menschen den Mangel bis über jedes Verständnis einer menschenwürdigen Wohnsituation hinaus und ordneten sich mit ihrer eigenen Lage entsprechend den Verhältnissen ein, die sie sich leisten (sprich: bezahlen) konnten.

„Besonders in den Großstädten, wo sich die industriellen Werke zusammendrängten, wurden die Wohnungen knapper. Der Mangel an kleinen und mittleren Wohnungen ließ die Mieten in unsinniger Weise in die Höhe klettern. Ja, die Wohnungspreise stiegen immer schneller als die Einkommen, so daß schließlich die Ausgabe für Wohnungen einen unentwegt wachsenden Prozentsatz des gesamten Konsums ausmachte. Dabei wurden die Wohnungen schlechter. Selbst für erbärmliche Gelasse mußten Arbeiter, die von dem Wohnungselend am härtesten betroffen waren, einen beträchtlichen Teil ihres Lohnes hergeben. Ganz allgemein war der Arbeiter gezwungen, etwa ein Viertel, oft noch mehr seiner Gesamteinnahmen für seine Wohnräume zu opfern. (...) In den 40er Jahren, so hat uns HEINRICH HERKNER[454] berichtet, wurde in Mülhausen i. E. die Hälfte eines Bettes, »eine Stelle in einem Bette«, in einer Zeitungsanzeige öffentlich angeboten.“[455]

In etwa zeitlich parallel traten die Wohnungsbaugenossenschaften auf. Wenngleich die Idee schon 1845 geboren und 1846 erstmals verwirklicht worden war, ihren Aufschwung erlebten sie erst ab 1889 bis zu einer Anzahl von 4054 Unternehmen [S. 236] im Jahre 1933[456]. Mit dem Genossenschaftsgesetz vom 1. Mai 1889 wurde erstmals die beschränkte Haftpflicht bei der Genossenschaft zugelassen und damit das Risiko der Genossen überschaubar und begrenzt. Durch die Bismarckschen Sozialversicherungsgesetze verfügten die Invaliden-und Rentenversicherungsanstalten über Gelder, die zweckmäßig als Präventivmaßnahme gegen Krankheit und Invalidität bei den Wohnungsbaugenossenschaften eingelegt wurden. Und nach Aufhebung der Sozialistengesetze mehrte sich auch die Zahl öffentlicher Würdenträger, die mit Sachkenntnis und sozialpolitischem Engagement als Kristallisationskerne für Genossenschaftsgründungen fungierten.

KARTHAUS u. a. vertreten in ihrem Beitrag die Ansicht, daß die reine Selbsthilfe im Wohnungsbau ohne Förderung und Beratung von außen ein Mythos sei[457]:

„Während die Konsumgenossenschaft mit kleinen Kapitalien beginnen kann und sich für die Genossen recht unmittelbar wirtschaftliche Vorteile einstellen, bedarf die Baugenossenschaft erheblicher eigener und fremder Mittel und kann den Genossen nur nach Baufortschritt Wohnungen bereitstellen. Dies liegt vor allem an den besonderen Eigenschaften der Wohnung. Die Wohnung ist verglichen mit anderen »Gebrauchsgütern« extrem teuer, langlebig und immobil. Für die Erstellung sind verschiedene spezielle Fachkenntnisse erforderlich. Die Grundstücksbeschaffung, die Gebäude-und Grundrißplanung sowie Baurechts-und Finanzierungsfragen sind vorab zu klären und ohne Beratung kaum zu bewältigen. Für die Bauausführung sind Bauhandwerker auszuwählen, die Bauarbeiten sind zu koordinieren und die technische Ausführung zu überprüfen. Die Baukosten einer Wohnung betragen ein Vielfaches eines durchschnittlichen Jahreslohnes. Die Aufnahme langfristiger Kredite ist daher unumgänglich. Hierfür muß die Genossenschaft Sicherheiten bieten. Die organisatorischen Anforderungen an genossenschaftliche Bauselbsthelfer sind nicht zu unterschätzen.“

Entsprechend folgern sie, daß eine gemeinsame Bauselbsthilfe nur erfolgreich sei, wenn sie

  • „auf eine Organisationsform zurückgreifen kann, die leicht handhabbar ist, Rechtssicherheit bietet und das finanzielle Risiko begrenzt;
  • die schwierige Geldbeschaffung durch finanzielle Förderung von privater und öffentlicher Seite lösen kann;
  • an vorhandene organisatorische Erfahrungen oder Strukturen anknüpfen kann oder Organisationshilfe von außen bekommt.“[458]

Diesen hohen Anforderungen können in erster Linie Gesellschaften genügen, die nicht auf die Möglichkeiten der reinen Arbeiterselbsthilfe beschränkt sind. Die großen Mengen erstellten Wohnraumes gehen zumindest auf (genossenschaftliche) Organisationsformen zurück, hinter denen betuchte Honoratioren, Personen mit gehobenem Einkommen (Beamte), kommerzielle Unternehmen, Verbände [S. 237](Gewerkschaften) und öffentliche Träger stehen. Dennoch haftet diesen Initiativkräften bei aller Leistungsfähigkeit ein systematischer Mangel an. Eine genossenschaftliche Bauaktivität wird vor dem hier diskutierten Hintergrund OPPENHEIMERscher Monopoltheorie erst richtig interessant, wenn sie

  • das Abhängigkeits-oder Mietzinsverhältnis Mieter-Vermieter aufhebt, also rechtmäßig erworbene (Verfügungs-)Ansprüche und nicht nur (Miet-) Räume unter entschärfter Besitzlosigkeit schafft,
  • die Autonomiebestrebungen von gesellschaftlich unterprivilegierten Wohnbedürftigen realisiert werden können und
  • dabei Methoden zum Einsatz kommen, die außerhalb der Rationalität kapitalistischer Unternehmerwirtschaften liegen.

Die »andere Methode« kann jedoch nur das genossenschaftseigene Prinzip der Substitution von Kapital durch Arbeit sein, sowie möglicherweise eine stärker bedarfsorientierte und kostenbewußte Architektur[459]. In Pilotprojekten treten engagierte Architekten europaweit immer wieder den Nachweis an, daß hochwertige Bausubstanz weit günstiger hergestellt werden kann als heute üblich[460]. Und so könnte das Interesse der Genossen an ihrem eigenen Projekt bereits andere Bauformen begünstigen[461]. Was allerdings bleibt, ist das Problem der üblichen Kapitalmarktzinsen, die aufgebracht werden müssen, um notwendige Materialien vorzufinanzieren und das Besitzverhältnis des Kapitalstückes »Grund und Boden« abzulösen. Auf dieser Ebene hängt jede Bauselbsthilfe »am Fliegenfänger des Kapitalismus« und muß entweder beim Staat um marktunübliche Zinsen betteln gehen oder als Teil eines umfangreicheren Genossenschaftswesens fungieren, in dem Vermögen ohne Profitabsicht einfach nur wertstabil gehalten wird (↑ 262).

Der Aufschwung der ersten Wohnungsbaubewegung hatte ein Standbein in der Kooperation mit der Renten-und Invalidenversicherung. Ursprünglich waren die Renten-und Invalidenversicherung nach einem »Anwartschaftsdeckungsverfahren« organisiert. Die Höhe der Beiträge wurde so bemessen, „daß der Wert aller künftigen [S. 238] Beiträge samt Vermögen, den Reichsmitteln und den Zahlungen für Arbeitslose den Betrag deckt, der nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung mit Zins und Zinseszins erforderlich ist, um alle zukünftigen Aufwendungen zu bestreiten.“[462] Das heißt, die Versicherungen verfügten über Einlagen, die sie anlegen mußten. Mit der Geldentwertung nach dem ersten Weltkrieg gingen diese Nominalwerte auf breiter Front verloren, so daß die Rentenversicherung von dem Anwartschaftsdeckungsverfahren auf den sogenannten »Generationenvertrag« umgestellt wurden.

„Während nach dem ersten Deckungsverfahren Versicherungskapitalien angesammelt werden, um alle zukünftigen Verpflichtungen der Versicherung zu decken vereinfacht ausgesprochen, jeder für seine »eigene« zukünftige Rente aufkommt -, basiert das Umlageverfahren auf einem »Generationenvertrag« (so das populäre Bild seit den 1950er Jahren), wonach die Generation der noch Arbeitenden weitgehend für die laufenden Bezüge der Rentenempfänger aufkommen muß. Was bedeutet das konkret? Allein in den Rentenversicherungen war mit der Inflation ein Vermögen in der Höhe von ca. vier Milliarden Mark und damit die Kapitaldeckung der Renten vernichtet worden.“[463]

Das Anwartschaftsdeckungsprinzip wurde per Gesetz vom 23. Juli 1921 (RGBl, S. 984) ausgesetzt[464]. Wenn man so will, ist die heute diskutierte Rentenproblematik eine Spätfolge des ersten Weltkrieges und dessen Finanzierung durch Manipulationen am Geldsystem (Inflationssteuer statt Direktbesteuerung[465]). „Durch die Inflation wurden die Hypothekenschulden abgewertet, die Sachwerte blieben erhalten. Diese Inflationsgewinne wurden durch Abgaben (sogenannte 'Hauszinssteuern') abgeschöpft. Aus diesen Hauszinssteueraufkommen wurden die öffentlichen Wohnungsbaumittel gewährt. Die bereits vorhandenen Wohnungsbaugenossenschaften und gemeinnützigen Wohnungsunternehmen wurden systematisch als Träger des öffentlich geförderten Wohnungsbaus eingesetzt und zusätzliche Neugründungen durch die öffentlichen Hände initiiert.“[466] Der Staat hatte damit das Geschehen weitgehend im Griff.

Die unter dem Titel »Wohnungsbaugenossenschaften« eingetragenen Genossenschaften müssen heute genau genommen danach unterschieden werden, ob sie tatsächlich Wohnungen bauen, bauen lassen oder vorwiegend Wohnraum verwalten[467]. Eine weitere Unterscheidung ist hinsichtlich der gemeinnützigen [S. 239] Wohnungsbauunternehmen angebracht, die wohl als Mitgliederunternehmen berechtigt in der Rechtsform der Genossenschaft auftreten, aber im wesentlichen dem Subsidiaritätsprinzip[468] folgend, freiwillig einen staatlich vorformulierten Auftrag im Wohnungsbau übernommen haben[469], ohne daß sie den Charakter einer genossenschaftlichen Bauselbsthilfe aufweisen[470].

Die Wohnraumverwaltungsgenossenschaft (oder nach neuerer Terminologie »Vermietungsgenossenschaft«) verfügt über gesicherte Bestände mit laufenden Mieteinnahmen, kann auf bezahltes Verwaltungspersonal zurückgreifen, das per Gemeinkostenumlage von den Bewohnern getragen wird. Es gibt keine Finanzierungsprobleme mehr, kaum noch Planungsaufgaben, allenfalls eine zu organisierende Bestandspflege. Die Einrichtung ruht in sich selbst und müßte schon erheblichen Veruntreuungen und aktivem Mißmanagement anheimfallen, um in ihrer Existenz noch gefährdet werden zu können.

[S. 240] Eine Wohnungsbaugenossenschaft muß dagegen ihre verfügbaren Mittel erkennen, kombinieren, organisieren. Sie kann ungleich viel mehr Fehler machen, arbeitet unter Risiko, muß Finanzmittel auftreiben, Sicherheiten bieten, um Vertrauen werben etc. Dies alles ist mit psychischen Anstrengungen großen Umfanges verbunden, die ein Mensch unentgolten nur auf sich nimmt, wenn ihm dadurch die Lösung eines akut drückenden Problems in Aussicht steht. Mitglieder einer genossenschaftlichen Bauselbsthilfe haben ein Wohnungsproblem und sind der Auffassung, daß sie dieses Problem unter eigener Regie besser handhaben können als durch passives Erdulden und Abwarten der Aktivität Dritter. Ist das Wohnproblem durch Wohnungsbau gelöst, haben diese Mitglieder keinen Grund mehr, sich besonders anzustrengen und kommen natürlich zur Ruhe. Praktisch konstitutiv ist für die Bauselbsthilfe, daß sich (wie auch in anderen Genossenschaftsbereichen) Kapital durch Arbeit ersetzen läßt. Neben allen »höheren« Dienstleistungen, die sich genossenschaftlich -aber auch von anderen Dienstleistungsanbietern -organisieren lassen, ist die »Substitution von Kapital durch Arbeit« unter der Randbedingung kapitalistischer Knappheitsverteilung ihre originär einzigartige Basis wirksamer Selbsthilfe. Mit der Benennung dieses originären Selbsthilfe-Momentes treffen wir aber auf einen neuralgischen Punkt.

Heutige Wohnungsbaugenossenschaften organisieren in der Regel keine Bauleistungen ihrer Mitglieder, sind also nicht Bauunternehmen besonderer Art, sondern die Genossenschaft tritt als Bauherr auf und beauftragt andere Unternehmen[471]. Das aber bringt zwangsläufig den Verlust möglicher Kostenvorteile mit sich, deren Realisierung für potentielle Selbsthilfegruppen interessant wäre. Eine Ausnahme von der Regel bildet die von KLAUS NOVY im WOHNBUND zusammengeschlossene »neue« Genossenschaftsbewegung. Sie knüpft an die Leitmotive jener »oppositionellen« Genossenschaften an[472], an deren Gründung OPPENHEIMER lebhaft Anteil nahm (↑ 283) und die aus kapitalismuskritischer Sicht vorrangig interessant sind.

Betrachten wir das zuweilen kritisch angemerkte »Problem« einer erlahmenden Bautätigkeit und »closed-shop Politik«[473] näher und stellen einleitend fest, daß für die versorgten Mitglieder die Unterversorgung außenstehender Personen kein Problem ist. Eine genossenschaftliche Bauselbsthilfe ist keine Einrichtung, die irgendeinem abstrakten »Auftrag« folgt, sondern eine Einrichtung, die als Baugesellschaft ein Problem meistert und anschließend tendenziell in einen Genußverein überwechselt. Wenn die nicht von den Aufträgen des staatlichen sozialen Wohnungsbaus gelenkte freie Wohnungsbaugenossenschaft als soziale Bewegung dauerhaft motiviert bestehen will, muß sie den Aufbau einer »Durchgangseinrichtung« [S. 241] organisieren, in die wechselnde Personen mit typischen Problemen eintreten, diese lösen, wieder austreten (bzw. in eine andere Form überwechseln) und die gewonnene Erfahrung nach hinten weiterreichen[474].

Die Wohnungsbaugenossenschaft mit aktiv tätigem Mitgliederbestand ist eine lebenslagenspezifische Durchgangsgenossenschaft. Dagegen kann die Wohnraumverwaltungsgenossenschaft als ein ruhendes Sammelbecken am Ende des Durchganges angesehen werden. Wem als Person der Aufenthalt in dem Durchgangsbereich besondere Freude bereitet (Betätigungsinteresse oder Erwerbsinteresse), wird sich dort entsprechend länger aufhalten. Wer hingegen nur ein Wohnproblem lösen will -ein Problem, das an wechselnden Orten lebenslang besteht -wird den Durchgangsbereich zügig durchschreiten und seinen Aufwand in einem Ruheraum minimieren wollen. Die Motive fallen von Mensch zu Mensch verschieden aus, und das ist auch kein Hindernis, sondern muß nur als dynamische Komponente in die Institutionenlehre integriert werden.

Während des zweiten Weltkrieges ging die Kontinuität der Organisation verloren, was für eine Durchgangsgenossenschaft, die davon lebt, daß Personen ihre Erfahrungen nach hinten weitergeben, besonders einschneidend ist. Außerdem setzte nach 1945 staatlicherseits eine freizügige Subventionspolitik des Wohnungsbaus ein, natürlich mit der berechtigten Vorgabe, die durch Kriegseinwirkung zerstörten und durch Flüchtlingsströme verstärkten Fehlbestände auszugleichen[475]. Aber in dieser Situation wurden die Wohnungsbaugenossenschaften in der Form vollfinanzierter Dienstleistungsunternehmen reaktiviert, die ein gesellschaftliches Problem zu beseitigen hatten und deswegen lediglich an der Elle der Gemeinnützigkeit gemessen wurden. Und drittens ist die Organisation freier Arbeitskraft seitdem kaum Thema geworden, sei es, weil in einer Phase der Vollbeschäftigung keine freie Arbeitskraft vorhanden war, oder sei es, weil nach dem Recht der Arbeitslosen-und Sozialversicherung freie Arbeitskraft nicht gewinnbringend an anderer Stelle eingesetzt werden darf. Zu nennen wären hier die Unternehmer, die eine Unterwanderung ihres Marktes nachhaltig verhindern; aber auch die Vorstellung, daß sich jemand mit Hilfe eines aus Versicherungsbeiträgen gesicherten Lebensunterhaltes Wohnraum aneignen könnte, dürfte konfliktträchtig sein.

Die heute noch bestehenden Wohnungsbaugenossenschaften verwalten vorwiegend ihre Bestände, während eine erneute Wohnungsnot, man spricht von 2,5 Millionen fehlenden Wohnungen[476], den Wohnungsmarkt prägt. Ohne günstige [S. 242] Finanzierungsquelle[477] können die Wohnungsbaugenossenschaften nur Vorteile erwirtschaften, indem sie sich als besondere Bauunternehmen etablieren. Letzteres wird ihnen allerdings systemimmanent seitens unserer Gesellschaftskonstruktion und der in ihr etablierten Sozialstaatsmechanismen als Möglichkeit verstellt.

3.1.2. Ökonomie der Wohnungsnot

Wie wird die Wohnungsnot aus Sicht der Neoklassik »erklärt«? Man konstruiert ein zweiseitiges Entscheidungsproblem und bestimmt den Schnittpunkt der Kurven. Wo die Linien sich kreuzen, herrscht ein Gleichgewicht und der normative Glaube an die Ordnungsfunktion des Preises.

Konkret umgesetzt bedeutet dies, der Vermieter will seine Wohnung vermieten und muß seinen Preis nach oben begrenzen, weil ihm Leerstand und Mietausfall drohen[478]; der Wohnungssuchende seinerseits muß ein persönliches Optimum zwischen Zahlungsbereitschaft (Preis) und Erwartung (Nutzen) wählen[479]. Führt diese individualistische Optimierung zu den genannten Fehlbeständen, teilen sich die Argumente in

  1. a) der Markt ist ein optimaler Koordinationsmechanismus und muß entreguliert werden (neoliberaler/neoklassischer Ansatz) und
  2. b) der Wohnungsmarkt ist unvollkommen (durch monopolistische Strukturen) und erfordert die politische Intervention[480].

Doch auf diese Weise läßt sich Wohnungsnot m. E. nicht erklären, weil der Ansatz im privatökonomischen verbleibt, ohne die gesellschaftsökonomische Dimension zu erfassen. Ebenso wie die Arbeitslosigkeit ist die Wohnungsnot ein kapitalistisches Gleichgewicht sozial-normativ unerträglicher Dimension. Würde man einen Ansatz gelten lassen, der die »Wohnungsnot« wegdefiniert, indem er den »Gleichgewichtspreis« mit einer Marktsättigung gleichsetzt, dann müßte jedes eingesetzte Kapital durch die laufende Rendite ersetzt werden. Sind Wohnungen nicht unter 250.000 DM pro Familie zu haben und Kapitalmarktzinsen von 8 % üblich, ergäben sich untere Mietpreise von 20.000 DM Jahreszins = 1.666 DM monatlich für alle Mietobjekte[481]. Eine Person müßte alleine 2.500 DM monatlich verdienen,

[S. 243] um wohnen zu können, was bei manchen Einkommen bereits das volle Gehalt ausmacht.

Wohnrauminvestitionen sind aus bestimmter Sicht unrentabel. Warum? Weil die Konkurrenz der Kapitalanlagemöglichkeiten sogenannte »Opportunitätskosten« verursacht, also dem Geldbesitzer stets vor Augen führt, daß er auf andere Weise mehr verdienen könnte. Warum bauen manche Personen dennoch? Nun, weil sie damit ein wertstabiles oder im Wert gar steigendes Objekt erwerben. Zwischen der ersten Aussage und der zweiten besteht offensichtlich ein Widerspruch. Betrachten wir ihn näher.

Wer aus seinem Geldbesitz flüchtet und einen Wertgegenstand kauft, handelt aus dem Motiv der Werterhaltung. Er wünscht sich vor allem, einen Einkommensüberschuß dauerhaft verfügbar zu erhalten. Nehmen wir eine Person, die in guten Jahren 1000 Stunden mehr geleistet hat als sie Gegenleistungen konsumieren konnte, die aber aus Vorsorge für schlechtere Zeiten diese 1000 Stunden speichern will, dann ist der Kauf eines wertstabilen Gegenstandes eine gute Lösung. Ist die schlechte Zeit gekommen, wird das Objekt wieder verkauft und die Gegenleistung beansprucht. In Geld ausgedrückt, kann zwischenzeitig allerlei passiert sein, bis hin zu einer Währungsreform mit Totalverlust.

Wer allerdings nicht aus Geldbesitz flüchten will, sondern nach Rendite strebt, den interessiert weniger ein in 50 Jahren immer noch gleicher Wert, sondern ein möglichst rascher Zugewinn. In der verwirrten Terminologie heißt es, er will sein »Kapital arbeiten lassen«. Tatsächlich geht es um die Erschließung kapitalistischer Profitquellen, die je nach Lage der politischen Ökonomie mal hier, mal dort liegen können. Staatsverschuldung und Steuerschraube, profitträchtige Abhängigkeit, Anteilsscheine an monopolistisch beherrschten Märkten etc., dies sind alles Machtbeziehungen, die der Umverteilung des Arbeitsproduktes anderer dienen. Man mag einwenden, daß »Arbeit« ohne das Kapital nicht möglich sei und diesem entsprechend ein Einkommensanteil zustehe. Doch was meint man damit? Daß der arbeitende Mensch auf Vorprodukte anderer Menschen zurückgreift und diesen einen Wert zufügt, der die eigene Arbeit und die Vorprodukte der anderen am Markt ersetzen muß? Denn was sind verwendete und sich abnutzende Werkgüter anderes als Vorprodukte? Wenn darin aber das Problem der Organisation liegt, dann bedeutet dies nur, daß ein komplexes Werkstück, an dessen Zustandekommen eine große Anzahl von Personen arbeitsteilig beteiligt ist, die eingesetzte Arbeit erst zu einem späteren Zeitpunkt ersetzt bekommt, nämlich wenn das Endprodukt am Markt seinen Käufer findet (↑ 258). Die Finanzierung überbrückt lediglich die Zeit vom ersten Hammerschlag bis zum Verkauf; sie vergütet in der Kette der Produktionsschritte dem Vorproduzenten seine Leistung vor der endgültigen Fertigstellung durch den letzten Handwerker. Nicht eine Minute »arbeitet« bei alledem das Kapital. Die Produktivität der eingesetzten Werkgüter ist nichts weiter als Ausdruck eines bestimmten Standes gesellschaftlicher Kenntnis (Bildung), den jeder Arbeitende seinem Produkt an Qualität beigibt, weil man insgesamt, als Wirtschaftsgesellschaft, [S. 244] in allen Teilbereichen Fortschritte erzielt und laufend an eigenen und Fortschritten anderer partizipiert.

Kommen wir auf unser Thema zurück mit der Feststellung, daß sich in der kapitalistischen Ökonomie ein dauerhafter Wertgegenstand (Wohnraum) unter die profitträchtigen Spekulationsobjekte einreihen muß und mit diesen um »Investitionen« konkurriert. Wesensmäßig sehr verschiedene Kategorien werden der einheitlichen Maxime des Profitstrebens unterworfen.

Eine auf Werterhaltung ausgerichtete Wohnbauinvestition unter nicht-kapitalistischer Randbedingung würde dagegen ganz anders verlaufen. Lassen wir die Inflationssteuer (↑ 260) wegfallen, die der Geldbesitzer auf den Kreditnehmer abwälzen kann, dann stünde der zu zahlende Zins bereits 4 bis 5 % niedriger. Bewerten wir das Kreditrisiko von wertstabilen Objekten mit Tendenz gegen Null, dann stünde auch der Risikoanteil des Zinses gegen Null, und übrig bliebe nur eine Gebühr für die notariell gesicherte Transaktion sowie eine Entschädigung für die aufgegebene Liquidität (= Entscheidungsfreiheit) des Geldgebers. Sagen wir, der Zins stünde bei 2 % = einem Viertel des oben Genannten, dann müßte der Kredit lediglich mit monatlich 416 DM Zins bedient werden (plus Tilgung). Jede Person würde entweder selber bauen oder die entsprechend niedrigen Mieten zahlen können. Doch die Dinge stehen anders und tendieren in Richtung eines anders dominierten Gleichgewichtspunktes, der die einzelne Existenz bedrohen oder über Gebühr belasten würde, könnte die Gesellschaft ihn nicht mit Reparaturmaßnahmen sozialpolitisch entschärfen.

Betrachten wir nun den eigentlich relevanten Preismechanismus, der unter der Randbedingung herrschender »Wohnungsnot« wirkt und das politisch eingestellte Mietpreisniveau auf das Niveau eines von der Neoklassik erwünschten Profitäquivalentes[482] treibt.

Das Problem der Wohnungsnot ist markttheoretisch gleichbedeutend mit dem Fall des Unterangebotes. Es besagt, daß die Nachfrage nach Wohneinheiten die vorhandenen Wohneinheiten übersteigt. Die Unterversorgung trifft jedoch nicht die bestehenden Mietverhältnisse, so daß sich das Problem der Wohnungsnot in einem Grenzbereich abspielt. In ihm treffen quantitativ die Wohnungssuchenden auf die freien Wohnungen. Gibt es 10 freie Wohnungen und 100 Interessenten, dann liegt die akut preisbestimmende Unterversorgung bei 90 % (und nicht etwa bei einer [S. 245] geringeren Prozentzahl, die sich aus dem Quotienten »Gesamtzahl der Wohnungen« zu »Gesamtzahl der Wohnenden« ergibt). Die Preise für Wohnraum explodieren in erster Linie bei den Neuvermietungen und Mieterwechseln[483]. Das heißt: Wohnungsnot ist ein Notstand von Neumietern und Wechselwilligen, jungen Ehepaaren, Geschiedenen, beruflich-räumlich Versetzten etc. Sie reduziert die Flexibilität und Mobilität innerhalb der Wirtschaftsgesellschaft und wird als Einschränkung der Entscheidungsfreiheit wahrgenommen bzw. kostet, wenn der Mieter auf einen Wechsel nicht verzichten kann oder will.

Die Preisbildung auf dem Wohnungsmarkt wird demnach bestimmt von den Überhängen. Ihr Steigerungspotential wiederum ergibt sich aus der ablaufenden Zeit, die einem Wohnungssuchenden bis zum Erfolg verbleibt. Obdachlosigkeit ist zwar eine Folge der Wohnungsnot, aber ein der bürgerlichen Existenz völlig unmöglicher Zustand. In der Bedürfnishierarchie des Konsumenten sind Urlaub, Neuanschaffungen etc. daher weniger wichtig als die Verfügung über Wohnraum. Ist dieser knapp, kann der Suchende nur die Sättigung seiner Bedürfnisse verlagern und die Personen geringerer Kaufkraft aus ihren angestammten Räumen verdrängen (bis sich mangelnde Kaufkraft/Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot treffen). Ein »Entweichen« vor der Mehraufwendung für Wohnen gibt es nicht, es sei denn, das Einkommen reicht, um in Bautätigkeit zu flüchten.

Nehmen wir auf der anderen Seite an, daß Mieter und Vermieter seitens ihrer Finanzkraft verschiedene Personenkreise sind, dann stellen die überproportional steigenden Mieten für den Vermieter einen widersprüchlichen Motivationsimpuls dar. Denn er gewinnt bei Untätigkeit sicher und riskiert nichts, während er bei Tätigkeit seine Profitchancen verringert und eine Fehlinvestition riskiert. Einmal angenommen, ein Fehlbestand führt zu exorbitanten Mietpreissteigerungen, so daß eine Bauinvestition rentabel wird, dann führen viele gleichgelagerte Bauinvestitionen mit gleicher Geschwindigkeit zu einem Rückgang der Mietpreissteigerungen auf das Niveau der durchschnittlichen Dauermiete. Die Rendite eines Bauprojektes kann solide nur auf der Grundlage gültiger Dauermieten kalkuliert werden. Eine Kalkulation, die auf die Knappheitspreisen aufbaut, ist hingegen spekulativ und riskant. Umgekehrt läßt sich der Mangel durch Ausnutzung der unvermeidlichen Mieterfluktuation ohne Mehraufwendung abschöpfen. Stellt man sich vor, daß ein »Investor« entweder selber auf Kredite angewiesen ist, um sein Renditeprojekt zu realisieren oder aber daß er in Alternativkostenkategorien denkt (Renditeausfall bei alternativer Anlagemöglichkeit), dann kommen wir zu dem bereits oben geschilderten Entscheidungsproblem.

Wer selber einen Kredit aufnehmen muß, um mit diesem Geld zu wirtschaften, wird nicht auf die Idee einer Wohnungsbauinvestition kommen (es sei denn, er ist Bauunternehmer und muß fehlende Aufträge durch Eigeninitiative kompensieren). [S. 246] Ob sich ein Mensch mit Bankguthaben dagegen für den Wohnungsbau entscheidet, hängt von der Zugewinnerwartung, Entscheidungskompetenz und dem damit einhergehenden Verwaltungsaufwand ab. Sicher ist es vernünftig, unter dem Aspekt der Vermögenserhaltung von Geld, in wertstabilen Immobilienbesitz zu wechseln. Aber dieser Wechsel rentiert sich nicht, sondern entlastet lediglich von dem Inflations-und Konjunkturrisiko andersgerichteter Entscheidungsalternativen. Nur wenn der Investor das Geld »übrig hat« und zudem mit diesem Werttypus umgehen kann bzw. will, dann findet Bautätigkeit aus Sicht des Kapitals statt.

Damit ist auf dem Wohnungsmarkt eine hohe Hürde für das Regulativ des Marktes gegeben, das sich zudem viel weniger an Wohnungsbeständen und Wohnungsbedürfnissen orientiert denn an der Zins-bzw. Geldpolitik einer Notenbank. Wer unter der Randbedingung von Wohnungsnot einen investitionsanregenden »Gleichgewichtspreis« für Mieten zahlen kann, der kann auch fast schon bauen bzw. hat seine Selbstversorgung mit Wohnraum bereits in der Vergangenheit gesichert.

Ich stelle zusammenfassend fest, daß die Profitchancen außerhalb des Sektors »Wohnungsbau« den »Preis für Geld« bestimmen. Das kapitalistische Gleichgewicht des langfristig zu finanzierenden Wertgutes »Wohnraum« stellt sich etwa ein, wenn die Mieten den Kapitalzins ersetzen. Da diese Mieten von den bereits im Arbeitsprozeß, Konsumtionsbereich und durch Steuerabgaben etc. belasteten Arbeitnehmer nicht bezahlt werden können, gibt es auch keinen marktimmanenten Investitionsanreiz. Der Staat muß seine eigene Unordnung demnach retten, indem Wohnraum mit Maßnahmen der Politik geschaffen wird. Setzen diese Maßnahmen vorübergehend aus oder erfolgt Fehlplanung, tritt Wohnungsnot ein. In dieser explodieren (als Geschwindigkeitsangabe verstanden) die Mieten der Wohnungswechsler entsprechend der Grenzbedürftigkeit »Leerstand zu Wohnungssuchenden« bis über das Niveau des zuvor politisch verhinderten kapitalistischen »Gleichgewichtes«. Erst jetzt führt der Reiz der Rendite zu konkurrierenden »Investitionen«. Vorher sind nur Abwarten und das Realisieren von Mietsteigerungen entscheidungsrational. Diese Einschätzung finden wir indirekt bestätigt durch eine Erhebung der Deutschen Bank. Danach korrelieren »selbstgenutzter Wohnungsraum« und »hohe Mieten« dergestalt miteinander, daß in Städten mit geringer Wohneigentumsquote die Mieten hoch stehen, in Städten mit hoher Wohneigentumsquote dagegen niedrig[484]. Ein funktionierender Preis-Anreiz-Mechanismus ließe genau entgegengesetzte Ergebnisse erwarten, weil in Städten mit hohen Mieten eigentlich verstärkte Bautätigkeit zu erwarten wäre. Statt dessen scheint die Politik der Stadtväter für den Grad erfolgter bzw. unterlassener Bautätigkeit verantwortlich zu sein. Oder anders gesagt: der bestehende Mangel in den Städten mit den höchsten Mietpreisen genügt dort noch nicht, um den Marktmechanismus ausgleichend tätig werden zu lassen. Bis wohin aber sollen die Mieten steigen, wenn 40 DM pro m2 (Berlin) noch keine Impulse setzen?

[S. 247] Letzter Punkt: der Wohnungssuchende würde weit vor diesem Aktionspunkt des »Investors« bauen, weil ihm langfristig ein Wert zuwächst, der für den profit-orientierten Investor außerhalb des Kalkulierbaren liegt. Denn das Kapital ist festgelegt und könnte fünf Jahre später bereits anderswo höhere Profite erbringen, während die nicht selbstgenutzte Wohnung bei zu hohem Preis stets dem Risiko des zukünftigen Leerstandes unterliegt. Ein »Selbstverzehrer«, der sich ein Haus baut und selber bewohnt, hat dieses Problem nicht.

3.1.3. Probleme und Perspektiven

Das Problem der Baugeldbeschaffung und politisch diktierten (Un-)Möglichkeit einer »Substitution von Kapital durch Arbeit« bei der vom Sozialrecht reglementierten Gruppe der Einkommensschwachen wurde oben bereits angeschnitten. An dieser Stelle sei somit der Frage nachgegangen, ob sich alternative Ansätze für eine Renaissance des genossenschaftlichen Wohnungsbaus finden lassen. Abstrakt formuliert, fallen mir hier zwei Oberziele ein, die allerdings beide gegenwärtig erst durch Personenkreise mit höheren Einkommen genutzt werden könnten. Eine sozialpolitische Komponente wäre erst sekundär durch »Mitzieheffekte« wahrscheinlich, die einerseits in Umkehrung der Verdrängungsthese durch Bestandszuwächse in den gehobenen Wohnlagen einträte sowie durch die Reorganisation eines auf aktiver Selbsthilfe beruhenden, bautätigen Genossenschaftswesens. Die Oberziele lauten:

a) Motivationen produktiv zu organisieren, die zwar nicht in der Form einer autarken Eigenhilfe, wohl aber in der Form gemeinsamer Selbsthilfe wirtschaftlich aktiviert werden können, sowie

b) das Flexibilitäts-und Mobilitätsproblem der Immobilie durch eine Verbundlösung zu beseitigen.

Eine autarke Eigenhilfe erfordert Kreditsicherheiten, Sachkenntnisse und Organisationstalent auf hohem Niveau. Nicht bei jedem Wohnungsbedürftigen und Bauwilligen werden diese vorliegen. Eine Genossenschaft kann die problematischen Fälle auf mehrere Schultern verteilen, Zeit für Problemlösungen gewinnen und Zwangsversteigerungen vermeiden. Ihre Mitglieder können ihren Begabungen entsprechend jeweils die produktivsten Positionen besetzen. Die besten Organisatoren managen nicht nur ihre Angelegenheiten, sondern die der Gruppe. Die besten (Laien-)Handwerker übernehmen jeweils ihrer Begabung entsprechende Abschnitte an mehreren Bauwerken, an denen Eigenleistungen eingesetzt werden sollen. Man spart so Zeit und vermeidet wiederholte Fehler.

Die Mietpreissteigerungen auf dem Wohnungsmarkt werden -wie oben dargestellt -mit jedem Wohnungswechsel bei beständig wirkendem Nachfrageüberhang wirksam. Vor diesem Engpaß ist als Wohnungsbedürftiger nur geschützt, wer über Eigentum verfügt. Eigentum im Wohnbereich heißt nicht nur »Immobilie«, sondern ist auch immobil. Das heißt, selbst wenn Personen fähig wären, Wohnraum zu [S. 248] erwerben, muß ihre Lebensplanung der immobilen Option nicht unbedingt zuneigen. Weit günstiger wäre für manche Personen, wenn das Wohneigentum ab-strakter ausfiele, man während einer bestimmten Bewohndauer schon Eigentümer der Wohneinheit wäre, aber andererseits über die genossenschaftliche Organisation auch im überregionalen Verbund mobil bliebe[485]. Sicher, es ließe sich einwenden, daß durch individuell organisierten An-und Verkauf eine ähnliche Mobilität erreichbar ist, aber:

  • es gibt auf dem Immobilienmarkt keine speziell vorgehaltenen Mobilitätsreserven; ein genossenschaftliches Modell könnte ein Überangebot von 1 % bewußt bevorraten, um Wohnungswechsel zu ermöglichen.
  • Es gibt keine überregional mangelorientierte Bauaktivität. Auf eine Nachfragesteigerung in München könnte ein Genossenschaftsverbund mit gezielter Finanzkraftverlagerung reagieren.
  • An-und Verkauf stellen für die Einzelpersonen stets Engpässe bezüglich Information, Vertrauen, Abwicklungssicherheit und Kosten dar. Ein genossenschaftliches Modell kann hierfür engpaßreduzierende Verfahren finden, so daß die »Mobilisierung der Immobilie« geringere Transaktionskosten verursacht[486].

Zusammenfassend läßt sich m. E. sagen, daß Wohnungsbaugenossenschaften in einer Marktwirtschaft gegen den durch den politisch induzierten Preis für Geld (Kredit) verursachten Wohnungsnotstand kein Kampfmittel darstellen, aber innerhalb der durch die Geldpolitik gesetzten Grenzen mit eindeutigen Motiven und zweckgerichteten Strategien auf eine Überwindung des Wohnungsnotstandes hinwirken können. Sieht man die primäre Funktion der Marktwirtschaft in ihrem Vermittlungsauftrag zwischen Bedürfnissen und Leistungserstellung, dann sind gewisse Leistungen sogar ausschließlich nur von einer genossenschaftlichen Organisationsform erwartbar, weil nur in dieser die Bedürfnisse auch Handlungsmotiv sind. Eine kapitalorientierte Betrachtung zeigt hingegen, daß die Eigenschaften des Konsumgutes »Wohnraum« nur für ruhendes, nicht hingegen für mobiles Kapital interessant sind. Eine klassenspezifische Betrachtung zeigt darüber hinaus, daß die Abhängigkeit der Mieter von Wohnraum unter der Bedingung des Mangels ausbeutbar ist. Wo auch immer eine Marktwirtschaft Ausbeutungsanreize setzt, wird sie nicht Fleiß, sondern Ausbeutung hervorbringen.

Damit zeigt sich m. E., daß Wohnungsmärkte unter bestimmten Umständen nach den Gesetzen der OPPENHEIMERschen Klassenmonopoltheorie funktionieren, selbst wenn die Klasse der abhängigen Mieter nur ca. 2/3 der Bevölkerung umfaßt und die Zahl der Vermieter groß ist. Dennoch scheiden sich an dieser Linie die Motivgruppen und ihre Tendenz, Güter entweder zu erstellen oder zu verknappen. Würde die Bevölkerung gleichmäßig Wohnraum besitzen, und wäre der »Wohnungsmarkt« nur ein Tauschmarkt wechselnder Wohnortpriorität, also ein Mobilitätsmarkt, [S. 249] dann könnten die Preissignale des Marktes (schwankende An-und Verkaufswerte) entsprechend der wechselnden Prioritäten dafür sorgen, daß in Zuzugsgebieten verstärkt und in Abzugsgebieten vermindert gebaut wird. Doch ist dieser Steuerungsmechanismus der Produzentennachfolge unter kapitalistischer Randbedingung nicht Thema, weil die Vollversorgung der einen Klasse durch die andere kein Thema ist. »Investoren« eignen sich nur dann Wohnraum an, wenn dieser von den Mietern innerhalb einer »erträglichen« Zeitspanne bezahlt wird.

Ihre Schlüsselposition bezüglich Kreditwürdigkeit, Einkommensstärke oder bereits vorhandenem Vermögensbesitz ermöglicht ihnen, Wohnraum »in die Welt zu setzen«. Die Bezahlung dieses Vorganges durch die Miete ist ihr »beanspruchter Lohn« oder »Einkommen«. Für den »Investor« ist dabei interessant, innerhalb welchem Zeitraum sich das eingesetzte Kapital verdoppelt, ihm also sein Kapital zurückerstattet wurde und zudem das Mietobjekt gehört. 20 bis 30 Jahre sind da eine lange Zeit, wenn man bedenkt, daß der Kapitalist mit dieser Strategie sein »Startgeld« im Laufe seines Lebens lediglich vervierfachen könnte. Für einen Wohnraumsuchenden liegen die Motive dagegen anders. Ihm genügt es in der Regel, wenn es ihm ein einziges Mal in seinem Leben gelingt, eigenen Wohnraum zu erwerben und dem Mietverhältnis zu entfliehen. Nur seine Motivation steht hoch, den gezollten 20 bis 30 Prozent-Abschlag vom Lohn für Miete in Eigentum zu überführen. Der Erfolg einer Wohnungspolitik hängt somit in erster Linie ab von den Möglichkeiten und Formen des Wohneigentumserwerbes für Mieter, ist also eine Frage bezahlbarer und verfügbarer Baugrundstücke sowie eine Frage kostengünstiger Baumethoden. Um diese Interessen der Mieter an einem Statuswechsel zu vertreten, bedarf es einer Organisation. Sie kann nicht heißen »Mieterbund« oder »Mieterschutz«, sondern müßte heißen »Bau...«.

Fußnoten
[436]
Natürlich hat die konkret betroffene Personengruppe stets auch bestimmte persönliche Eigenschaften, etwa einen geringen Bildungsgrad etc. Diese Eigenschaften führen dazu, daß die eine Person diesseits, die andere Person jenseits der gezogenen Wohlstandslinie auftaucht. Die Existenz der Scheidemarke auf einem gesellschaftlich-prozentualen Punkt läßt sich daraus allerdings nicht erklären. Selbst wenn es der eine schafft, jenseits der Marke zu wandern, wird ein anderer im gleichen Augenblick diesseits fallen, weil der Mangel eben ein absoluter ist. So kann er auch nur mittels Strategien gemildert werden, die die Marktposition der unterlegenen Akteure verbessern, nicht dagegen durch besonders gelungene Anpassung an die Bedingungen der Unterlegenheit.
[437]
Vgl. HANS G. NUTZINGER: The economics of property rights -a new paradigma in social science? Diskussionsschrift Nr. 4 des Fachbereiches Wirtschaftswissenschaften der Gesamthochschule Kassel, Juni 1981.
[438]
Idealtypisch gedacht birgt jeder allgemeine Realitätszustand auch eine Idee von dem »Anderen« in sich, denn daß etwas »so sei«, können wir nur vor dem Hintergrund der Ausschließung anderer Zustandsansichten behaupten. Unsere Ausschließungen wird aber nicht jeder teilen, und somit gibt es neben der konservativen Realitätseinheit stets eine wilde Streuung punktueller Abweichungen. Vieles davon ist natürlich einfach nur Auswuchs von Irrtümern und Kurzsichtigkeit, aber wenn eine Massenmeinung einmal irrig ist, dann gibt es auch dazu immer Personen, die den Widerspruch denken. Sie können in diesem Falle Kristallisationskerne von Gegenbewegungen bilden, weil der Widerspruch von Realität und ihrer Anschauung in dieser selber wurzelt, der »erste Sprecher« also nur eine neue Interpretationslösung anbietet, während die Suche nach des Rätsels Lösung bereits mehrere Personen umtreibt.
[439]
Die Gegenläufigkeit des herrschaftlichen und liberalen Interesses liegt gerade in diesem Punkt. Herrschaft verträgt keine Alternativen, weil sie die Möglichkeit der Überwindung von Bestehendem enthalten. Herrschaft geht es auch nicht darum, daß eine Gesellschaft ihre besten Lösungen realisiert, sondern es geht ihr um die Sicherung von Privilegien.
[440]
Hier verstanden als Gegenbegriff zur herrschaftlichen Sozialbeziehung und Organisationsform, wie unter Punkt 2.3.2.1. der Arbeit (S. 152) ausgeführt wurde und in Teil IV der Arbeit ab S. 328 vertieft werden wird.
[441]
FRANZ OPPENHEIMER: Praktische Ökonomik und Volkswirtschaftspolitik. In: Annalen der Naturphilosophie, 1913, S. 307 -351, hier S. 345.
[442]
Vgl. FRANZ OPPENHEIMER: Praktische Ökonomik ..., a.a.O., S. 328. Ebenso FRANZ OPPENHEIMER: Die »Utopie als Tatsache«. In: derselbe, Wege zur Gemeinschaft, München 1924, S. 493 -513.
[443]
„Ende 1991 bestanden im vereinten Deutschland 1.926 Wohnungsgenossenschaften mit 2,9 Millionen Mitgliedern. Diese Genossenschaften verwalten 2,1 Millionen Wohnungen, was einem Wohnungsbestand in Deutschland von gut 6 % entspricht.“ DG BANK: Die Genossenschaften in der Bundesrepublik Deutschland 1992, Neuwied 1992, S. 61.
[444]
Vgl. HELMUT WESTPHAL: Die Filtering-Theorie des Wohnungsmarktes und aktuelle Probleme der Wohnungsmarktpolitik. In: Leviathan, Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Heft 4/1978, S. 536 -557.
[445]
Vgl. zusammenfassend BETTINA WEGNER: Gesundheit als wohnungspolitisches Problem Zum Zusammenhang von Wohnen und Krankheit aus sozialpolitischer und gemeinnütziger Sicht. In: Jürgen Zerche, Genossenschaften und genossenschaftswissenschaftliche Forschung. Regensburg 1989, S. 169 -179.
[446]
In der Literatur wird von einem »erschwerten Zugang zum Wohnungsmarkt« gesprochen, der bestimmte soziale Gruppen treffe. Vgl. JÜRGEN BÄRSCH; CORNELIA CREMER; KLAUS NOVY: Neue Wohnprojekte, alte Genossenschaften. Darmstadt 1989, S. 58.
[447]
..., denn diese besitzen den Arbeitsplatz, haben rechtlich die volle Verfügung und besetzen ihn lediglich mit ihnen gefälligen Kräften,
[448]
Es gibt kein »Marktversagen«, sondern nur objektiv wirkende Mechanismen, die zu subjektiv ungünstig beurteilten Ereignissen führen. Von einem »Marktversagen« kann nur sprechen, wer die Behauptung akzeptiert, daß jeder Gleichgewichtspunkt eines ökonomischen Kräftefeldes automatisch mit einem Genußmaximum der Gesellschaft übereinstimmt. Wer diese zwei Komplexe hingegen nicht zwanghaft (und weil unbewiesen: normativ) miteinander verknüpft sieht, spricht von freien oder gebundenen Marktmechanismen, die positiv oder negativ beurteilte Ereignisse herbeiführen.
[449]
BRUNO SCHWAN: Die Wohnungsnot und das Wohnungselend in Deutschland. Deutscher Verein für Wohnungsreform, Heft 7, Berlin 1929, S.10.
[450]
Vgl. BRUNO SCHWAN, S.35: „Der preußische Wohlfahrtsminister berichtete 1924 über Bettennot in vielen Städten. Überall wurden Kinder angetroffen, die zu dritt und noch mehreren, teils mit Erwachsenen zusammen in einem Bett schlafen mußten. Teilweise müssen Kinder mit acht, neun, zehn, elf und selbst zwölf Personen in einem Raum hausen. (...) Es sei hier noch verwiesen auf eine von der Gesellschaft für Sexualreform 1925 im Verlage von Fritz Kater, Berlin O 34, herausgegebenen Schrift »Kulturschande«, worin die Ergebnisse wissenschafticher Untersuchungen über die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten unter Kindern infolge des Wohnungselends veröffentlicht sind. Im Rudolf Virchow-Krankenhaus wurden 1921 133, 1924 250 geschlechtskranke Kinder behandelt (...) Auf der Keuchhustenabteilung des Eppendorfer Krankenhauses wurde bei 20 von insgesamt 28 Mädchen Gonorrhöe festgestellt. Von den im April 1925 auf der Gonorrhöestation der Kinderheilanstalt in Buch befindlichen 56 Kindern mit Gonorrhöe waren 21 innerhalb der Familie angesteckt. Von den 21 haben 11 allein geschlafen, 10 das Bett mit anderen Familienmitgliedern geteilt.“ Eine Repräsentativbefragung ergab: „Jeder 25. Jugendliche schläft mit Fremden in einem Schlafzimmer, und jeder 219. mit Fremden in einem Bett“ (S.36).
[451]
BRUNO SCHWAN, dito, S. 57.
[452]
BRUNO SCHWAN, dito, S. 57 f.
[453]
Beide Tabellen BRUNO SCHWAN, dito, S. 43.
[454]
Fußnote im Zitat: „HEINRICH HERKNER: Die Arbeiterfrage, Bd. 1, Berlin 1922, S. 50.“
[455]
HELMUT FAUST: Geschichte der Genossenschaftsbewegung, Frankfurt a. M. 1977, S. 504 f.
[456]
HELMUT FAUST: dito, S. 519 ff und S. 508.
[457]
FRANK KARTHAUS, ULRICH BIMBERG, ARNO MERSMANN, JOHANNES MOTZ, KLAUS NOVY, GÜNTHER UHLIG: Baugenossenschaften -die schwierige Selbstorganisation des Häuserbaus. In: KLAUS NOVY u. a. (Hg.): Anders Leben. Berlin 1985, S. 61 -101, hier S. 61.
[458]
FRANK KARTHAUS, ...., ebenda, S. 62.
[459]
„Für Arbeitslose erwies sich die genossenschaftliche Selbsthilfesiedlung als beste Arbeitsbeschaffung. Die Muskelhypothek ersetzte das Eigenkapital. Garten und Werkstätten sorgten trotz Erwerbslosigkeit für sinnvolle Arbeit.“ „Durch persönliche Kontakte des damaligen Remscheider Oberbürgermeisters HARTMANN zur Pastoren-Familie VON BODELSCHWINGH, die sich bereits seit Jahrzehnten für den Arbeiter-Wohnungsbau einsetzte, entstanden ab 1930 Arbeitslosensiedlungen in einer Lehmbauweise, die sich für den Selbsthilfebau besonders eignete (...) [und] heute unter ökologischen Gesichtspunkten wieder angewandt wird.“ KLAUS NOVY u. a., Anders Leben, a.a.O., S. 99.
[460]
In der Sendung »In Sachen Natur« vom 19.01.94 (West 3) wurde ein überaus wohnlich aussehendes Massivhaus mit 60 m2 Wohnfläche vorgestellt, das KARL-HEINZ HEILIG in Eigenarbeit binnen zwei Jahren für DM 2.000 (!) aus Abbruchmaterialien gebaut hat. Dies nur als Anmerkung, um auf die Relativität von Baukosten und Bauverfahren hinzuweisen.
[461]
Ich möchte das Thema hier nicht ausweiten. In den VDI-Nachrichten erscheinen regelmäßig sehr anregende Berichte darüber, was bautechnisch möglich wäre. Da Bauen im Grunde nichts anderes ist als »Fertigung« eines besonderen Gutes, lassen sich fertigungstechnisch nahezu alle Grundlagen industrieller Produktion übertragen, ohne daß deswegen Uniformität oder »Plattenbauweise« Einzug halten müßte. Exemplarisch siehe VDI-Nachrichten, Nr. 5 vom 4. 2. 1994, S. 24: Im Fachwerkhaus läuft die Heizung zum Schottentarif.
[462]
MICHAEL NITSCHE: Die Geschichte des Leistungs-und Beitragsrechts der gesetzlichen Rentenversicherung von 1889 bis zum Beginn der Rentenreform. Frankfurt a. M. 1986, S. 272.
[463]
MARTIN H. GEYER: Soziale Rechte im Sozialstaat: Wiederaufbau, Krise und konservative Stabilisierung der deutschen Rentenversicherung 1924 -1937. In: Klaus Tenfelde (Hg.): Arbeiter im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1991, S. 406 -434, hier S. 411.
[464]
Vgl. MICHAEL NITSCHE: Die Geschichte ..., a.a.O., S.163.
[465]
Siehe zur Methode und grundsätzlich LUDWIG ERHARD: Kriegsfinanzierung und Schuldenkonsolidierung. Denkschrift von 1943/44, Faksimiledruck Frankfurt a. M. 1977.
[466]
HELMUT W. JENKIS: Die Genossenschaften in der Wohnungswirtschaft. In: Juhani Laurinkari, Genossenschaftswesen, München 1990, S. 634 -653, hier S. 643 f.
[467]
„Wohnungsgenossenschaften sind Haushaltsgenossenschaften mit Aufgaben im Bereich der Wohnungswirtschaft. Vielfach wurden diese Gebilde früher »Baugenossenschaften« genannt. Diese Bezeichnung führt zu der irrtümlichen Meinung, daß sie sich in der Bauwirtschaft betätigen, wie dies auf bauwirtschaftliche Produktions-und Produktivgenossenschaften zutrifft. Tatsächlich aber spielt bei den gemeinten Unternehmen bauwirtschaftliche Produktion nur als Nebenaufgabe, und zwar in sehr kleinem Umfang, eine Rolle; höchstens insoweit, als schließlich jeder Haushalt und demgemäß jede Haushaltsgenossenschaft gewisse Erzeugerfunktionen bei Reparatur u. dgl. ausübt. Bei den gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaften stehen der Einbeziehung bauwirtschaftlicher Produktion auch rechtliche Hindernisse im Wege. Die Haushaltsfunktion, die die unter den Begriff fallenden Genossenschaften wahrnehmen, bestehen in der Bereitstellung und Verwaltung des Gebrauchsgutes Wohnung.“ GERHARD WEISSER: Genossenschaften. Hannover 1968, S. 145. Die eigentliche Bautätigkeit wird von beauftragten Unternehmen besorgt (siehe weiter unten im Text), seitdem das Wohngemeinnützigkeitsrecht (WGG) 1940 auf ein Verbot der Eigenbautätigkeit hin umgeschrieben wurde. „Die Beziehungen zu den Bauhütten mußten aufgelöst werden; Regiebetriebe durften nur für die Instandsetzung, nicht aber für den Neubau eingesetzt werden. Die Selbstfinanzierungsbemühungen der Gemeinnützigen über den Aufbau eigener Sparabteilungen wurde aufgrund der scharfen Bestimmungen des Kreditwesengesetzes (KWG) zunichte gemacht. Es verblieben wirtschafts-und sozialreformerisch entkleidete -gleichsam nackte -Unternehmen, die durch Konzentration zu starken Trägern der staatlichen Wiederaufbaupolitik »nach dem Sieg« werden sollten.“ KLAUS NOVY und MICHAEL PRINZ: Illustrierte Geschichte der Gemeinwirtschaft. Berlin 1985, S. 223. Siehe auch WOHN BUND: Forderungen zur Reform des Wohngemeinnützigkeitsrechts (WGG). In: Rolf Schwendter (Hg.), Die Mühen der Ebenen, München 1986, S. 194 -201.
[468]
Vgl. BETTINA WEGNER: Zu den ideologischen Grundlagen des Subsidiaritätsprinzips und zur Anwendung des Prinzips auf die Wohnungswirtschaft. In: Gesellschaft, Wirtschaft, Wohnungswirtschaft. Festschrift für Helmut Jenkis. Berlin 1987, S. 169 -197.
[469]
„Obwohl die Wohnungsgemeinnützigkeit im Rechtssinne nicht zum Begriff der Wohnungsgenossenschaft gehört, ist doch der Aufgabenbereich der Mehrzahl bestehender Genossenschaften durch ihren gemeinnützigen Status mitbedingt. Von 1199 den Prüfungsverbänden angeschlossenen Genossenschaften waren Ende 1984 1129 als gemeinnützig anerkannt. (...) Bis heute werden über 90 % der im Mietwohnungsbau erstellten Genossenschaftswohnungen öffentlich gefördert. Hierdurch bedingt, überschneiden sich der von Genossenschaften versorgte Personenkreis mit den von der staatlichen Wohnungspolitik geförderten Bevölkerungsschichten.“ MICHAEL DRUPP: Zur sozialpolitischen Instrumentalfunktion von Genossenschaften im Rahmen zielgruppenbezogener Wohnversorgung. In: Gesellschaft, Wirtschaft, Wohnungswirtschaft. Festschrift für Helmut Jenkis. Berlin 1987, S. 113 -124, hier S. 115 f.
[470]
ERICH BOETTCHER und MANFRED NEUMANN haben die Frage kontrovers diskutiert, ob sich die Gemeinnützigkeitsprinzipien mit dem Wesen der Genossenschaft vereinbaren lassen. Vgl. zusammenfassend HELMUT W. JENKIS: Die Genossenschaften in der Wohnungswirtschaft, a.a.O., S. 645.
[471]
Vgl. GUNTHER ASCHOFF und ECKART HENNINGSEN: Das deutsche Genossenschaftswesen. Frankfurt a. M. 1985, S. 103 f.
[472]
Vgl. KLAUS NOVY; MICHAEL PRINZ: Illustrierte Geschichte der Gemeinwirtschaft. Berlin 1985, hier speziell S. 38. Ebenso JÜRGEN BÄRSCH; CORNELIA CREMER; KLAUS NOVY: Neue Wohnprojekte, alte Genossenschaften. Darmstadt 1989 (gegenwartsbezogene Publikation).
[473]
HANS-JÜRGEN BÄRSCH: Zur Effizienz genossenschaftlicher Wirtschaftsweisen auf dem Wohnungsmarkt -ein Institutionenvergleich. Darmstadt 1989, S. 86 f.
[474]
Wir kennen solche »Durchgangseinrichtungen« aus dem studentischen Leben. Jedes Erstsemester steht vor dem Problem mangelnder Information und Orientierung. Deswegen organisieren die Altsemester Einführungsseminare, die von den Erstsemestern als Leistung meist dankbar aufgenommen werden. Gut 5 % der einstmals Genießenden reichen später freiwillig dieselbe Leistung an Neuankömmlinge weiter. Die ganze Aktion erfolgt unentgeltlich und lebt über Generationen hinweg fort. »Lohn« der Dienenden ist der Spaß, der durch Kennenlernen, Gruppenerlebnis und Wissensweitergabe (incl. Selbstbesinnung) an die »Aktiven« zurückfließt.
[475]
Vgl. HELMUT WESTPHAL, Die Filtering-Theorie ..., a.a.O., S. 536.
[476]
Plusminus, Sendung vom 3. August 1993.
[477]
Als alternatives Finanzierungskonzept entstand auch schon einmal die Idee einer »Reichswohnungsversicherung«, die nach ihrem Erfinder BENEDIKT SCHMITTMANN direkt Teil des Sozialversicherungssystems hätte werden sollen. Vgl. GÜNTHER SCHULZ: Wohnungspolitik und soziale Sicherung nach 1945: das Ende der Arbeiterwohnungsfrage. In: Klaus Tenfelde (Hg.): Arbeiter im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1991, S. 483 -506, hier S. 484.
[478]
In gewisser Hinsicht eine Fiktion, da der Vermieter von Wohnanlagen sein Ausfallwagnis per Betriebskostenumlage auf die Mieter abwälzt.
[479]
Vgl. HANS-JÜRGEN BÄRSCH: Zur Effizienz ..., a.a.O., S.38 f.
[480]
Vgl. MARIO PATERA: Genossenschaftsentwicklung im österreichischen Wohnungsbau. Frankfurt a. M. 1987, S.80 f.
[481]
Vgl. auch LOTHAR F. NEUMANN und HAJO ROMAHN: Wohnungsversorgung im Spannungsfeld von Markt und Staat. In: LOTHAR F. NEUMANN, Wohnungsmarkt in der Krise? Köln 1994, S. 9 -33, speziell S. 14.
[482]
Es gibt viele Wege, auf denen eine abhängige Klasse der herrschenden Klasse Profite steuern kann. Wir haben die Begriffe »Klasse«, »unterschiedliche Dringlichkeit des Austauschbedürfnisses« und »Profit« in den vorangegangenen theoretischen Abhandlungen geklärt. Gegebene Vermögensunterschiede führen danach zu Marktmacht und erzwingen bei dem Abhängigen die Akzeptanz einer Tributzahlung. Je nach Zustand einer Gesellschaft, ihrer Vermögensverteilung und Marktausgeglichenheit, gibt es einen typischen Profitsatz. Er liegt in der »reinen Ökonomie« OPPENHEIMERs bei Null, da dort niemand abhängig ist. Erträge sind in ihr ausschließlich Leistungseinkommen, also Entlohnung für Dienste. »Zinsen« wären in ihr der »Preis eines Liquiditätsvorteiles«, der nicht höher stehen müßte als nötig ist, um Personen, die ihr Geld nicht aktuell für Käufe ausgeben wollen, zur befristeten Liquiditätsaufgabe zu bewegen.
[483]
Auf eine jüngst erschienene Studie des Rings Deutscher Makler, die hier leider nicht mehr herangezogen werden kann, wies BEATRIX NOVY in ihrer Sendung »Wohnräume« am 24.01.94 (West 3) hin. Danach erhöhen Vermieter derzeit bei Mieterwechseln die Miete um durchschnittlich 10 %, während vor sechs Jahren nur 1,5 % festgestellt wurden.
[484]
Vgl. VDI-Nachrichten vom 26.11.1993, S. 1: „Ohne Kostensenkung kein Ende der Wohnungsnot“.
[485]
Der Ring der Wohnungsbaugenossenschaften verfolgt die Absicht, Genossenschaftsmitglieder mit Genossenschaftswohnungen zu versorgen, wenn diese den Wohnort wechseln. Vgl. HELMUT W. JENKIS: Die Genossenschaften in der Wohnungswirtschaft, a.a.O., S. 641. Die Idee des mobilen Wohneigentums scheint mir dennoch neu zu sein.
[486]
Vgl. HANS-JÜRGEN BÄRSCH: Zur Effizienz ..., a.a.O., S. 132 f.